DER SICHERHEITSDIENST

DSDDER SICHERHEITSDIENST 4 | 2022 Fachmagazin für die Sicherheitswirtschaft 74. Jahrgang Postvertriebsstück – DPAG – Entgelt bezahlt | DSA GmbH · Postfach 1201 · 61282 Bad Homburg Geld undWert

Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch In diesen Tagen blicken wir auf ein schwieriges Jahr zurück. Umso mehr bedanken sich der Vorstand der BDGW, das Präsidium des BDLS, der Vorstand und das Präsidium des BDSW, die Geschäftsführung und das gesamte Team von BDGW, BDLS und BDSW für das im vergangenen Jahr entgegengebrachte Vertrauen. Wir bedanken uns bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Sicherheitswirtschaft, die während der Festtage ihren Dienst versehen und nicht bei ihren Familien sein können. Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir ein besinnliches Weihnachtsfest und ein erfolgreiches und sicheres Jahr 2023. Herzlichst, das Team der Verbände der Sicherheitswirtschaft

1 DSD 4 | 2022 EDITORIAL Vorstandsvorsitzender der BDGW Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste Michael Mewes Ohne Bargeld geht es nicht Sehr geehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser, wir erleben eine Zeit größter Unsicherheit und Veränderungen. Besonders bedrückt uns dabei der Krieg in der Ukraine, in dessen Folge hohe Energiekosten und erhöhte Inflation sowie Rohstoffmangel und gestresste Lieferketten auch die deutsche Wirtschaft massiv schwächen. Im Weiteren müssen wir mit verstärkten Ausspähungen imtechnologischenSektor,mit Sabotageaktionen und mit Cyberangriffen rechnen, die sich gegen die Kritischen Infrastrukturen richten. Auch wir als Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW) sind mit unserer Expertise aktuell regelmäßig bei Themen rund um die Sicherung der Kritischen Infrastruktur im Finanzsystem gefragt. Dabei wird deutlich, dass die kontinuierliche Arbeit der BDGW seit über 50 Jahren im Zusammenwirken mit unseren Mitgliedern und deren Mitarbeitern sowie unseren Partnern im Bargeldkreislauf stetig zu einer verstärkten öffentlichen Wahrnehmung und Akzeptanz unserer Branche geführt hat. Gemeinsam haben wir die Standards entwickelt und umgesetzt, die uns heute durchaus die selbstbewusste Aussage ermöglichen, nicht nur ein wichtiger, sondern vielmehr ein entscheidender und zentraler Akteur im Bargeldkreislauf zu sein. Im Rahmen einer Festveranstaltung anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Interessenvertretung unserer Branche haben wir im Frankfurter Römer am 22. Juni 2022 mit dem Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, Prof. Dr. Johannes Beermann, gemeinsam auf diese Zeit zurückgeblickt, vor allem aber auch optimistisch auf die vor uns liegenden Herausforderungen geschaut. Danach ist und bleibt es von elementarer Bedeutung, dass die Verbraucher die von ihnen gewünschte Wahlfreiheit der Zahlungsmittel haben und nutzen. Genau das trägt entscheidend dazu bei, dass die Bargeldinfrastruktur weiter wirtschaftlich betrieben und die Bargeldversorgung der Bevölkerung langfristig gewährleistet werden kann. Bereits die Coronapandemie stellte für die Wertdienstleister eine erhebliche Belastung dar, die das Zahlungsverhalten der Deutschen in einer vorher nicht vorstellbaren Geschwindigkeit zugunsten unbarer Zahlungsmittel veränderte. Seit einigen Monaten erholt sich die Nachfrage nach Bargeld in Deutschland im Vergleich zu denVorjahren erfreulicherweise wieder leicht. Die Verbraucher entscheiden sich nun wieder vermehrt für Bargeld. Das ist eine wichtige und für den Erhalt einer funktionsfähigen Bargeldinfrastruktur notwendige Entwicklung. Allein Bargeld ist inklusiv und zudem für die Resilienz im Zahlungsverkehr am POS unentbehrlich. Bargeld bricht eben nicht zusammen, wenn der Strom ausfällt oder ein Cyberangriff ein Zahlungssystem lahmlegt. Jede Gesellschaft, die sich ausschließlich auf digitale Plattformen verlässt, die von großen Institutionen betrieben werden, wird Probleme mit der Widerstandsfähigkeit haben. Auch deshalb fordern wir von der Bundesbank und der Politik, über allgemeine Sympathiebekundungen für das Bargeld hinausgehende konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Auf unserer Jahreshauptversammlung am 8. November in Berlin sind wir mit diesen Entscheidern darüber in einen intensiven Dialog getreten, unter anderem mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Dr. Florian Toncar, als Vertreter der Bundesregierung. Bargeld ist immer noch das beliebteste, kostengünstigste und effizienteste Zahlungsmittel. Und wir sind froh darüber, dass es einen breiten politischen Konsens darüber gibt, dass das Bargeld erhalten und verteidigt werden muss. Neben einer langfristigen Mindestabdeckung Deutschlands mit Stellen zur Versorgung der Bevölkerung mit Bargeld benötigen wir jedoch eine bundesweite Verpflichtung zur Annahme von Bargeld in allen Stellen mit direktem Bürgerkontakt. Unsere Diskussionsrunde in Berlin mit den wichtigen Finanzpolitikern des Deutschen Bundestages wie Antje Tillmann (CDU/CSU), Christoph Meyer (FDP) und Stefan Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen) zu diesem konkreten Thema stimmt uns optimistisch. In jedem Fall werden wir bei diesem Thema sehr aktiv bleiben, und das in enger Zusammenarbeit mit den Vertreterinnen und Vertretern des Verbraucherschutzes und der Arbeitnehmer sowie weiteren Bargeldakteuren und Pro-Bargeld-Initiativen. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr 2023! Ihr Michael Mewes

2 DSD 4 | 2022 Editorial 1 • Michael Mewes: Ohne Bargeld geht es nicht 1 Geld undWert 3 • Prof. Dr. Johannes Beermann: Das Bargeld zukunftsfähig machen 3 • RolandW. Sorke und Stefan Leßmann: Geldautomaten sicherer machen, Betriebsrisiken reduzieren 7 • Dr. Reinhard Scholzen: Geldautomatensprengungen 11 • Andreas Goralczyk: Das Euro-Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel 15 • Tilo Arnold und Frank Horst: CashCon 2022 20 • Silke Zöller: Geld- undWertdienstleister sind wichtiger Teil der Kritischen Infrastruktur 24 • BDGW-Vorstand wiedergewählt 26 • Sonderschutzfahrzeuge 27 • Thomas von Polheim: For every place that matters 28 • Domenico Agosti: Effizientes End-to-End-System für sicheren Bargeldtransport 29 • Tilo Arnold: GS1 Standards in der Bargeldlogistik 30 • Hans Wiegandt und Oliver Wiegandt: Seit über 30 Jahren ein verlässlicher Partner für unsere Kunden im Bereich Geld- undWertlogistik 31 Who is Who der Geld- undWertdienstleister 32 Wirtschaft und Politik 36 • Im Gespräch mit Florian Graf: Stimmung insgesamt gut 36 • Hendrick Lehmann: Komplexe Konzepte für Großveranstaltungen 39 Luftsicherheit 42 • Im Gespräch mit Udo Hansen: Zuständigkeiten und Inhalt Prozesse vereinfachen 42 • Silke Zöller: 12. Luftsicherheitstage: Mit (Luft-)Sicherheit raus aus der Krise! 44 Wirtschaftsschutz 48 • Holger Köster: Aus der digitalen Welt gekickt 48 • Klaus Henning Glitza: Vernetzt mit einem globalen IT-Umfeld, das keinesfalls voller Gutmenschen ist 49 • RA Dr. Berthold Stoppelkamp: Analysen und Hilfestellungen zumWirtschaftsschutz 51 Security Essen 52 • Security Essen 2022: 5. Tag der Aus- undWeiterbildung mit Verleihung des Preises für die Auszubildenden des Jahres 52 Sicherheitstechnik 54 • Andreas Brink: Strategische Zusammenarbeit starker Partner 54 Bericht aus Berlin 55 • RA Dr. Berthold Stoppelkamp: Unsicherheit! 55 Europa 58 • Silke Zöller: „Stell Dir vor, es gibt Arbeit und keiner geht hin!“ 58 • Alexander Frank: Schutz Kritischer Infrastruktur und künstliche Intelligenz: Die CoESS-Mitglieder- versammlung 2022 in Zeiten des Wandels 60 Recht 62 • RAin Cornelia Okpara: Arbeitsrecht in Kürze 62 Vergaberecht 64 • RA Alexander Nette: Verzögerungen im Vergabeverfahren kein Fall höherer Gewalt 64 Büchermarkt 66 Intern 68 • Landesgruppe Sachsen: „Beobachten – Erkennen – Melden“: Zusammenarbeit von Polizei und Sicherheitsunternehmen weiter gestärkt 68 • Landesgruppe Bayern: BDSW im Dialog mit der bayerischen Politik 69 Namen und Nachrichten 71 Sicherheit von A bis Z 75 Impressum 79 Das Letzte 80 • Florian Graf: 2022 – ein spannendes Jahr enormer Herausforderungen 80 Anmerkung der Redaktion: Zur leichteren Lesbarkeit wurde auf zusätzliche Bezeichnungen in weiblicher Form verzichtet und nur die männliche Form verwendet. Angesprochen sind natürlich alle Geschlechter. 3 24 44

GELD UND WERT 3 DSD 4 | 2022 Das Bargeld zukunftsfähig machen Von Prof. Dr. Johannes Beermann In Deutschland ist das Euro-Bargeld nach wie vor das am häufigsten genutzte Zahlungsmittel. Dieses Jahr jährte sich die Einführung der gemeinsamen Euro-Münzen und -Scheine bereits zum zwanzigsten Mal. Warum das Bargeld auch in einer zunehmend digitalen Welt seinen Platz hat und wie es für die Zukunft fit gemacht werden kann, erläutert Bundesbank-Vorstandsmitglied Johannes Beermann. Wissen Sie noch, was Sie am 17. Dezember 2001, einemMontag, gemacht haben? Nein? Die Chancen stehen gut, dass Sie an diesem Tag, wie Millionen andere Menschen auch, in der Schlange Ihrer Bankfiliale anstanden, um eines der sogenannten EuroStarterkits zu erwerben. Dabei handelte es sich um kleine Plastikbeutel, gefüllt mit Euro-Münzen im Gegenwert von 20 D-Mark bzw. 10,23 Euro. Die Münzbeutel dienten damals dazu, die Bevölkerung mit der neuen Währung vertraut zu machen, und zwar bereits gut zwei Wochen vor der offiziellen Einführung des Euro-Bargelds am 1. Januar 2002. Die Umstellung auf die neue Währung verlief seinerzeit erfreulich reibungslos. Damals mögen uns die neuen Münzen und Scheine beim ersten Kontakt noch ungewohnt und fremd vorgekommen sein. Inzwischen ist uns das Bezahlen und Rechnen in Euro aber in Fleisch und Blut übergegangen. Und die Jüngeren unter uns kennen die D-Mark ohnehin nur noch aus Erzählungen oder von Bildern, nicht aber aus eigener Erfahrung. Der „runde Geburtstag“ der Euro-Münzen und -Scheine ist nun genug Anlass, einen neuen Sammelband mit frischen und vielfältigen Perspektiven auf den Euro zu veröffentlichen.[1] In insgesamt 33 Beiträgen aus so unterschiedlichen Disziplinen wie Psychologie, Soziologie, Philosophie oder Ökonomie wird deutlich, dass die Gemeinschaftswährung vielschichtig ist und aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden kann. Manche Stimmen sehen im Bargeld eine letzte Bastion im Kampf gegen die Gefahr, zum gläsernen Kunden zu werden. Andere Stimmen sehen für Bargeld keinen Platz mehr in einer digitalen Welt. Ich denke, dass es einer differenzierteren Auseinandersetzung mit demThema bedarf. Der Sammelband enthält daher auch viele unterschiedliche Debattenbeiträge, die darauf abzielen, die Diskussion um das Bargeld zu versachlichen und dessen Bedeutung und Perspektiven für die Zukunft zu verdeutlichen. Bargeld ist nach wie vor sehr gefragt. Das zeigen vor allem zwei Zahlen: Erstens ist die Nachfrage nach Bargeld ungebrochen. Die von der Bundesbank ausgegebenen Banknoten und Münzenmachenmehr als 50 Prozent des gesamten Bargeldumlaufs im Euro-System aus. Insgesamt beträgt ihr derzeitiger Wert 897 Milliarden Euro, der Wertzuwachs allein im Jahr 2021 betrug rund 64 Milliarden Euro. Übrigens haben wir zu Beginn der Coronapandemie einen sprunghaften Anstieg der Bargeldnachfrage erlebt. Das zeigt auch, wie wichtig Bargeld als Sicherheitsanker in wirtschaftlich turbulenten Zeiten ist. Zweitens liegt der Anteil der bar getätigten Zahlungen am Point of Sale bei rund 58 Prozent aller Transaktionen. Damit steht das Bargeld unangefochten auf Platz eins der am häufigsten genutzten Zahlungsmittel. Die Debitkarte folgt mit deutlichem Abstand und 32 Prozent auf Platz zwei. Die Deutschen nutzen ihr Bargeld also auch rege als Zahlungsmittel und nicht nur zur Wertaufbewahrung. Zur häufigen Nutzung des Bargelds trägt gewiss auch die in Deutschland sehr gut ausgebaute Bargeldinfrastruktur bei. Hierbei spielen natürlich auch die Wertdienstleister eine wichtige Rolle. Sie sorgen gemeinsam mit der Bundesbank und den Geschäftsbanken dafür, dass die mehr als 50.000 Geldautomaten in Deutschland stets mit qualitativ hochwertigen Banknoten bestückt sind. In unserer im Sommer veröffentlichten Zahlungsverhaltensstudie gaben rund 93 Prozent der Befragten an, der Zugang zu Bargeld sei für sie„sehr einfach“ oder „ziemlich einfach“. Zudem können die Nutzerinnen und Nutzer von Bargeld auch sehr sicher sein, im Laden oder anderswo keinen „falschen Fünfziger“ zu erhalten. Im Jahr 2021 war das Falschgeldaufkommen niedrig wie lange nicht. Gerade einmal knapp 42.000 falsche Euro-Banknoten hat die BundesMitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbank und unter anderem zuständig für den Bereich Bargeld Prof. Dr. Johannes Beermann

Vorstellung des Buches „20 Jahre Euro: Zur Zukunft unseres Geldes“ in der Hauptverwaltung der Bundesbank in Frankfurt. Bild: Nils Thies GELD UND WERT 4 DSD 4 | 2022 bank im vergangenen Jahr aus dem Verkehr gezogen. Das entspricht etwa fünf falschen Banknoten pro 10.000 Einwohner. Der Nennwert der aus dem Verkehr gezogenen Fälschungen betrug 1,9 Millionen Euro und damit weniger als 2,5 Cent pro Einwohner. Damit die Zahlen so niedrig bleiben, ist es aber wichtig und richtig, dass die Bundesbank und andere Bargeldakteure das Bargeld regelmäßig auf Echtheit überprüfen und falsche Banknoten umgehend aus dem Verkehr ziehen. Die Sicherheit beim Bezahlen spielt besonders dieser Tage noch in einem anderen Zusammenhang eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zu elektronischen Zahlungsmitteln ist die Verwendung von Bargeld nämlich weitgehend unabhängig von technischer Infrastruktur. Dadurch erhöht Bargeld die Widerstandsfähigkeit des Wirtschaftssystems gegenüber möglichen Ausfällen von Zahlungsverkehrssystemen, seien sie durch technisches und menschliches Versagen oder aber durch gezielte Sabotage (Stichwort Cyberangriffe) herbeigeführt. Erst im zurückliegenden Mai gab es einen längeren bundesweiten Ausfall von Zahlungsterminals, der einmal mehr gezeigt hat, wie wichtig es ist, im Notfall auf Alternativen wie das bewährte Bargeld zurückgreifen zu können. Gleiches gilt für die aktuellen Diskussionen über Energiestörungen und -ausfälle sowie Krisen. Wer bar zahlt, achtet besonders auf den Schutz seiner persönlichen Daten. Tatsächlich werden beim digitalen Bezahlen, etwa über Internetdienstleister, eine Reihe von persönlichen Daten gesammelt, die anschließend beispielsweise für personifizierte Werbung genutzt werden können. Bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern lösen solche Praktiken verständlicherweise Unbehagen aus. Für diejenigen, die Wert auf ihre Privatsphäre und die Kontrolle über ihre eigenen Daten legen, ist Bargeld daher ein unschlagbares Zahlungsmittel. Darüber hinaus ermöglicht nur Bargeld allen Menschen die ungehinderte Teilnahme am Wirtschaftsleben, unabhängig davon, ob sie ein Konto besitzen oder mit der Handhabung elektronischer Bezahlverfahren vertraut sind. Der Zugang zu Bargeld hat also auch eine gesellschaftspolitische Komponente und verhindert eine mögliche„digitale Kluft“. Die Bundesbank möchte niemandem vorschreiben, wie er oder sie zu bezahlen hat, und überlässt die Wahl des Zahlungsmittels den mündigen Bürgerinnen und Bürgern. Diejenigen, die das Bargeld bereits als ein Auslaufmodell ansehen, sind meiner Ansicht nach jedoch zu voreilig unterwegs und verkennen den Mehrwert, den Bargeld auch gegenüber elektronischen Bezahlformen bieten kann. So erläutert beispielsweise die Wirtschaftspsychologin Julia Pitters in ihrem Beitrag zum Sammelband, dass das Bargeld mehr als jedes andere Zahlungsmittel in der Lage ist, das Glückshormon Dopamin in unseren Gehirnen freizusetzen. Anscheinend befriedigt das Bargeld also ein zutiefst verankertes Bedürfnis nach etwas Greifbarem und Handfesten. Dafür spricht auch die Jahrtausende lange Existenz des Bargelds, die der US-amerikanische Ökonom Barry Eichengreen in seinem Buchbeitrag eindrucksvoll nachzeichnet. Und selbst wenn elektronische Bezahlverfahren immer beliebter werden: So einfach abschaffen lässt sich das Bargeld nicht. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, erklärt in seinem Beitrag zum Sammelband, dass einer Abschaffung oder Einschränkung des Bezahlens mit Scheinen und Münzen hohe rechtliche Hürden entgegenstehen. Ein solches Vorhaben wäre zudem politisch kaum zu realisieren. In unserer Zahlungsverhaltensstudie gab eine breite Mehrheit von 69 Prozent der Befragten an, dass ihnen die Möglichkeit der Bargeldnutzung „sehr wichtig“ oder „ziemlich wichtig“ sei. Ich denke daher, dass es auf ein Nebeneinander verschiedener Zahlungsmittel – analog und digital – hinauslaufen wird. Das kann jeder bei seinen eigenen Zahlungen vielleicht schon heute beobachten. In

GELD UND WERT 5 DSD 4 | 2022 der Geschichte sehen wir viele Beispiele dafür, dass neue digitale Technologien vorhandene analoge Technologien ergänzen, nicht aber ersetzen. Beispielsweise wurde das Telefon nicht obsolet, nachdem die E-Mail erfunden wurde. Verschiedene Technologien befriedigen also unterschiedliche Bedürfnisse und je nach individuellen Präferenzen werden die Menschen in unterschiedlichemMaße auf Bargeld zurückgreifen. Bargeld muss weiter gepflegt werden. Wenn wir wollen, dass weiterhin in größerem Umfang mit Münzen und Scheinen bezahlt wird, dann muss das Bargeld in einer sich ändernden Zahlungsmittellandschaft weiterhin attraktiv gehalten werden. Hierfür ist entscheidend, dass die Alleinstellungsmerkmale des Bargelds bestehen bleiben und womöglich erweitert werden. Auch ist entscheidend, den Bargeldkreislauf effizienter zu machen. Dies erfordert gemeinsame Anstrengungen aller am Bargeldkreislauf beteiligten Akteure, also auch der Wertdienstleistungsunternehmen. Gefordert ist hier selbstverständlich auch das Euro-System. Dessen aktuelle Bargeldstrategie bekennt sich klar zum Erhalt des Bargeldes. Ziel ist, dass das Euro-Bargeld auch in Zukunft als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel leicht verfügbar ist und im Handel allgemein akzeptiert wird. Dies könnte im europäischen Regelwerk noch einmal geschärft werden. Den nationalen Zentralbanken des Euro-Systems kommt in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle zu, die es durch konkrete Maßnahmen auszufüllen gilt. So hat die Bundesbank in den vergangenen Jahren einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag in ihre Bargeldinfrastruktur investiert und im vergangenen Jahr in Dortmund ihre bislang größte und modernste Filiale in Betrieb genommen. Dort sehen wir eine Vielzahl neuer, automatisierter Prozesse wie zum Beispiel den Einsatz fahrerloser Transportfahrzeuge. Zudem wurden die bestehenden 31 Filialen der Bundesbank zuletzt mit hochmodernen Geldbearbeitungsmaschinen ausgestattet, welche die Banknoten etwa 30 Prozent schneller bearbeiten können als das Vorgängermodell. Aber nicht nur die Kosteneffizienz, auch das „Produkt“, also die Banknoten und Münzen, gilt es im Blick zu behalten. Die Bargeldstrategie des Euro-Systems betont insbesondere die Themen Sicherheit und Nachhaltigkeit. Die Euro-Banknoten müssen immer auf dem technisch neusten Stand sein, um Fälschern das Handwerk so schwer wie möglich zu machen. Gleichzeitig soll der ökologische Fußabdruck der Bargeldproduktion und -logistik möglichst gering ausfallen. Wie man das Bargeld zukunftsfähig aufstellen kann, dazu machen wir uns in der Bundesbank eine Menge eigener Gedanken. Seit Anfang des Jahres führen wir zusammen mit einem privaten Forschungsinstitut eine eigene Studie zum Bargeld der Zukunft durch. Wir möchten wissen, wo das Bargeld in Deutschland in 15 bis 20 Jahren steht und mit welchen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen wir zukünftig konfrontiert sind. Dafür ist es wichtig, dass wir die zukünftigen Bedürfnisse und Herausforderungen der Bargeldnutzerinnen und -nutzer und anderer im Bargeldkreislauf involvierter Akteure besser verstehen. Um dies zu tun, gehen wir neue Wege und verwenden bei der Studie Techniken der sogenannten Zukunftsforschung. Dabei versuchen wir nicht die Zukunft vorherzusagen. Vielmehr wollen wir mögliche Szenarien herausarbeiten, in denen dargestellt wird, wie sich ein bestimmter Aspekt (eine Technologie, ein Produkt oder etwa gesellschaftliche Werte) voraussichtlich entwickeln könnte und was dies für die Zukunft des Bargeldes jeweils bedeuten würde. Zur Entwicklung der Zukunftsszenarien haben wir unter anderem Interviews mit verschiedenen Gruppen von Bargeldnutzern geführt und weitere Bargeldakteure zu ihren Motivlagen und Zukunftsvorstellungen im Bargeldbereich befragt. Auf der Grundlage der herausgearbeiteten Szenarien sollen dann in einem zweiten Schritt bundesbankintern Handlungsoptionen für eine evidenzbasierte und vorausschauende Bargeldstrategie der Bundesbank erarbeitet werden. Mit ersten Ergebnissen der Studie rechnen wir nicht vor dem ersten Halbjahr 2023. Es ist aber schon absehbar, dass die Digitalisierung in den Studienergebnissen eine große Rolle spielen wird. 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 1600 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 912 936 980 1.042 1.110 1.153 1.199 1.261 1.323 1.465 1.580 1.580 Milliarden Euro-Bargeld im Umlauf Gesamtwert des im Umlauf befindlichen Euro-Bargelds im Euro-Raum (in Mrd. €) Quelle: EZB / März 2022

GELD UND WERT 6 DSD 4 | 2022 Berücksichtigung in der Studie wird sicher auch die mögliche Entwicklung eines digitalen Euro finden. Die Diskussion rund um das digitale Zentralbankgeld hat in letzter Zeit vor allem in Fachkreisen deutlich an Fahrt aufgenommen. Als ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung gilt das inzwischen eingestellte FacebookProjekt Diem (früher Libra). Notenbanken weltweit forschen an der Entwicklung von digitalem Zentralbankgeld und befinden sich zumeist in unterschiedlichen Phasen der Vorüberlegung und Konzeption. So hat auch der EZB-Rat im Juli vergangenen Jahres eine zweijährige Untersuchungsphase eingeleitet, in der die Potenziale und Risiken eines möglichen digitalen Euro ermittelt werden sollen. Erst danach wird entschieden, ob und in welcher Form es einen digitalen Euro geben wird. Viele Aspekte müssen hier bedacht werden. Insbesondere muss geklärt werden, welchen Mehrwert ein solch digitaler Euro gegenüber schon bestehenden anderen unbaren Bezahlmöglichkeiten bieten könnte und wie er konkret ausgestaltet werden soll. Zudem ergeben sich eine Reihe rechtlicher Fragen und mögliche Auswirkungen für die Finanzstabilität. In jedem Fall würde ein digitaler Euro, falls er denn kommt, das bestehende Euro-Bargeld lediglich ergänzen, nicht jedoch ersetzen. Auch gilt es, die Diskussionen diesbezüglich z. B. beim US-Dollar zu beobachten. Recht konkrete Zukunftspläne hat das Euro-System hingegen, wenn es um die zukünftige Gestaltung der Euro-Banknoten geht. Ende vergangenen Jahres hat der EZB-Rat einen Prozess zur Neugestaltung einer möglichen zukünftigen Euro-Banknotenserie beschlossen, in dessen Verlauf mögliche Design-Themen und später auch konkrete Banknoten-Designs festgelegt werden sollen. Hierbei wurde auch die Öffentlichkeit eingeladen, Präferenzen für mögliche neue Themen zu äußern. Insgesamt stehen wir aber noch am Anfang des Prozesses und die finale Entscheidung über die neuen Banknoten-Designs wird voraussichtlich erst 2024 getroffen werden. Frühestens zu diesem Zweitpunkt könnte die Einführung einer neuen Banknotenserie vom EZB-Rat beschlossen werden. Bis zum Druck und der Ausgabe der neuen Banknoten würde es dann voraussichtlich noch einmal mehrere Jahre dauern. Wie auch immer die neuen Scheine aussehen mögen: Wenn es gelingt, die Vorteile des Bargelds gegenüber alternativen Bezahlmethoden auch zukünftig zu erhalten und womöglich noch auszubauen, dann werden die Bürgerinnen und Bürger auch weiterhin dem Bargeld ihr Vertrauen schenken. Die Bundesbank und das EuroSystem stehen in jedem Fall klar zum Bargeld und setzen sich dafür ein, dass wir auch zukünftig wie gewohnt mit Scheinen und Münzen bezahlen können. Literatur [1] Johannes Beermann (Hrsg.), 20 Jahre Euro: Zur Zukunft unseres Geldes, Verlag: Siedler, 528 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Gebunden mit Schutzumschlag, Preis: 32 Euro. Bild: bruno neurath-wilson/unsplash.com

GELD UND WERT 7 DSD 4 | 2022 Geldautomaten sicherer machen, Betriebsrisiken reduzieren Parameter zur Risikoanalyse gefährlicher Standorte Von RolandW. Sorke und Stefan Leßmann Immer mehr Geldautomaten werden gesprengt. Dabei nehmen die Schadenssummen zu. Sicherheitskonzepte und Technologien dagegen sind vorhanden. Sie müssten aber flächendeckend eingesetzt werden. Das Jahr 2022 hat das Potenzial dazu, das explosivste Jahr in der Geschichte zu werden, aus Sicht von Geldautomaten-Sprengern. Denn allein in den ersten fünf Monaten wurden in Deutschland laut Angaben des LKA Niedersachsen bereits 220 Sprengattacken auf Geldausgabeautomaten (GAA) verübt. Setzt sich diese Wachstumskurve fort, werden am Jahresende deutlich mehr als die 392 Sprengungen aus 2021 in der Statistik stehen. Für die Kriminellen lohnen sich leider derartige Angriffe immer noch – denn sie waren bei 48,2 Prozent erfolgreich und kamen ans Bargeld. Das entspricht einer zehn Prozent höheren Erfolgsrate als in den Vorjahren. Nordrhein-Westfalen verzeichnet mit 152 Angriffen immer noch die höchste Fallzahl. Es ist aber ein rückläufiger Trend zu erkennen, was die Vermutung zulässt, dass dies auf die bereits umgesetzten Maßnahmen der Banken zurückgeführt werden kann. Die Zahlen in den Nachbarländern Hessen und Niedersachsen sind indes teils merklich gestiegen. Ein Grund dafür kann eine Art Verdrängungseffekt sein, basierend auf immer besser abgesicherten GAAs in NRW. Ein Faktor bleibt aber nach wie vor die Entfernung zu den Niederlanden. Dort erarbeitete die Polizei in Kooperationmit den vier großen Bankinstituten über viele Jahre ein umfangreiches Präventionskonzept zur Sicherung von Geldautomaten und minimierte so die Tatgelegenheiten erheblich. Das letzte Lagebild des BKA deutet aber an, dass Täter nicht davor zurückschrecken, auch GAA in entfernteren Bundesländern anzugreifen, wenn der Taterfolg nahe der Grenze eingeschränkt wird. Ohne verwertbare Beute weniger Angriffe Jeder Geldautomat muss in den Niederlanden einer individuellen Risikobewertung unterzogen werden. Seit 2015 hat sich außerdem der Einsatz von intelligenten Tintensystemen flächendeckend verbreitet. Wird ein Geldautomat angegriffen, der diese enthält, färbt die Tinte die Banknoten ein und macht sie somit für den Täter unbrauchbar. Sie können weder ausgegeben noch umgetauscht werden – sie sind wie „wertloses buntes Papier“. Der Erfolg: Die Anzahl der Geldautomatensprengungen sank in den Niederlanden von 74 im Jahr 2019 auf nur noch 14 im vergangenen Jahr. Auch in Frankreich ist seit 2015 der Einsatz von Banknoteneinfärbesystemen unter anderem für frei aufgestellte und zugängliche Geldausgabeautomaten gesetzlich vorgeschrieben. Das Resultat spricht für sich: Die Fallzahlen reduzierten sich von 300 im Jahr 20131 auf nur noch 27 in 2021. Verabredung zur Tat per Chat Weil die hoch spezialisierten Kriminellen in ihrer Heimat keine lohnenden Angriffsziele mehr finden, drängen sie ins Nachbarland Deutschland. Dabei handelt es sich zu mehr als zwei Dritteln umTäter aus den Großräumen Utrecht und Amsterdam. Sie agieren als Banden in wechselnder Zusammensetzung. Die einzelnen Beteiligten kennen sich oftmals vorher nicht. Sie verabreden sich über Chatgruppen und lernen sich erst bei der Anfahrt zur Tat kennen. Einer der Gründe, weshalb die Ermittlungen oft erfolglos enden. Darüber hinaus gibt es weitere Tätergruppen, etwa aus Osteuropa, und andere Nachahmer. Letztere kommen zwar glücklicherweise nur selten an das Bargeld, allerdings verursachen sie oft immense Schäden. Bis zu dreimal mehr Festsprengstoff Weil sich Sprengungen nach der Einleitung von explosiven Gasen durch den Einsatz unterschiedlichster Sicherheitsmechanismen mittlerweile 11 Quelle: EUCPN (European Crime Prevention Network) „Preventing physical ATM attacks“ 2019 verantwortet als Geschäftsführer bei Diebold Nixdorf seil 2020 das Bankengeschäft in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich. Zuvor bekleidete er mehr als 20 Jahre verschiedene Positionen im nationalen und internationalen Bankenvertrieb in dem Unternehmen sowie seiner Vorgängerorganisation. Die Erstveröffentlichung des Beitrags erfolgte in der Ausgabe 4/2022 der Zeitschrift gi Geldinstitute. www.geldinstitute.de Wir bedanken uns für die Abdruckgenehmigung. Roland W. Sorke

GELD UND WERT 8 DSD 4 | 2022 leitet das Competence Center Security bei Diebold Nixdorf und ist verantwortlich für die DACH Region. Er blickt auf über 14 Jahre internationale Erfahrung im Bereich kundenorientierter Lösungen für Banken zurück. So verantwortete er als Senior Produktmanager weltweit Kernkomponenten und Systeme des Diebold Nixdorf-Lösungsportfolios inkl. integrierter Sicherheitslösungen und globaler Partnerprodukte aus dem Bereich Sicherheit. Stefan Leßmann recht gut verhindern lassen, setzen Kriminelle inzwischen bei etwa jedem zweiten Angriff auf Bankautomaten Festsprengstoff ein. Dabei operieren sie in manchen Fällen inzwischen mit mehr als einer Sprengladung, was zu noch höheren Schäden führt. Dieser Trend stellt aktuell alle Beteiligten vor noch größere Herausforderungen. Heftige Kollateralschäden Das Problem bei Festsprengstoffen wie TNT ist ihre enorme Explosivkraft, die heftige Kollateralschäden verursacht. Denn die Wucht der Detonation trifft nicht nur den Geldautomaten. Glasscheiben zerbersten, Mauerteile fliegen durch die Luft und die Gebäude werden massiv bis hin zur Einsturzgefahr beschädigt. Werden Geldautomaten gesprengt, die in freistehenden Pavillons aus Stahlrohr eingebaut sind, klappen manchmal auch ganze Wände weg und die Trümmerteile hinterlassen Zerstörungen im weiteren Umkreis. Diese Zerstörungen verursachen höhere Schadenssummen als das erbeutete Bargeld – und das auch, wenn überhaupt keine Beute erlangt wurde. LKA-Sonderkommissionen eingesetzt Nicht zuletzt aufgrund der Gefahr für Menschenleben intensivieren Polizei und Landeskriminalämter ihre Ermittlungsarbeit. Anfang Mai 2022 stellte das nordrhein-westfälische Innenministerium in einer Pressekonferenz die Sonderkommission BEGAS vor – das steht für „Bekämpfung und Ermittlung von GeldausgabeautomatenSprengungen“. Als erster Schritt wurde – nach dem Vorbild der Niederlande – eine Risikoanalyse für jeden der 11.000 Geldautomaten in NRW vereinbart. In Hessen stellte Innenminister Peter Beuth im Mai gemeinsam mit der Polizei die „Allianz Geldautomaten“ vor. Ihr gehören zur Gründung bereits 15 hessische Kreditinstitute an. Das Risikoanalysetool „GLB operativ“ (Geldautomatenlagebild operativ) soll Sprengungen vermeiden und den Druck auf reisende Täter deutlich erhöhen. Das LKA Rheinland-Pfalz hat ein bundesweit einheitliches Raster zur Risikoanalyse entwickelt. Es besteht aus neun Parametern: • Aufstellungsort • nächtliche Zugänglichkeit • Bauweise des Geldautomaten (z. B. Frontlader, Hinterlader) • Widerstandsklasse des Geldautomatenwertschutzschrankes • mechanische Sicherungstechnik am Gerät • Alarmsicherung und Einbruchmeldeüberwachung des SB-Bereichs/-Raumes • Alarmaufschaltung • Video- und Vernebelungssysteme • mittelbare Sicherungstechnik (z. B. Tinteneinfärbung, Sprengmatten) Diese Kriterien sollen nicht nur Sprengung physisch verhindern, sondern haben drei weitere Ziele: Die Angriffe sollen frühzeitig erkannt werden. Die Schäden im Umfeld sollen minimiert werden. Und vor allem soll das Wertlosmachen der Beute den Tatanreiz reduzieren. Intelligente Tintensysteme – bewährte Sicherheitslösung Intelligente Tintenlösungen, die Banknoten in der Kassette bei unterschiedlichen Angriffsszenarien einfärben, sind bereits seit vielen Jahren in unterschiedlichsten Ländern und Märkten verfügbar und haben sich dort vor allem gegen Sprengangriffe nachweislich bewährt. Der Einsatz einer solchen Lösung bedeutet für die Banken und Sparkassen natürlich einen nicht zu vernachlässigenden lnvest, der – aktuell – noch nicht verpflichtend ist wie in anderen Ländern. Positiv sind hier Beispiele aus der Versicherungsbranche, bei denen der Versicherer den Einsatz einer intelligenten Lösung entsprechend honoriert. Ein Modell, das auch für denVersicherer Sinnmachen könnte, da er durch eine Reduzierung der Angriffe auch weniger Schäden zu begleichen hat. Neben der Effektivität der Lösung ist vor allem ein sicheres und sehr einfaches Bedienen ausschlaggebend für eine gute Tintenlösung. Das Verhindern von Fehlauslösungen zum Beispiel durch eine „Schattentür“ trägt signifikant zur Akzeptanz bei, da es die Kosten für die Banken reduziert, Fehlbedienungen maximal reduziert und dabei die Routinen rund um das System nicht stört. Wie effizient diese Abschreckung funktioniert, zeigen Beispiele aus Frankreich, den Niederlanden oder auch aus Belgien: Nach sehr hohen Fallzahlen von Angriffen auf Werttransportunternehmen (WTU) haben diese nach Einsatz der intelligenten Tintentechnologie deutlich nachgelassen. Entdeckung wahrscheinlicher machen Auch wenn Angriffe auf WTU-Fahrzeuge hierzulande heute noch nicht das dominierende Thema sind, erwarten Branchenexperten, dass die für die WTU zuständige Berufsgenossenschaft

GELD UND WERT 9 DSD 4 | 2022 CEIA LOSS PREVENTION SYSTEM OK ALARM Peter-Sander-Str. 37A • D-55252 Wiesbaden +49-6134-21099-0 info@ceia.net www.ceia.net • INDIVIDUELLE METALLSIGNATUR Erkennt metallische Differenzen zwischen dem Betreten und Verlassen eines Bereiches • EINZIGARTIG, HOCHPRÄZISE UND DSGVO KONFORM Detektiert Metallveränderungen bis unter 1 Gramm, z.B. durch Entnahme von elektronischen Bauteilen • INNOVATIVE PROFILERSTELLUNG Keine störenden Alarme durch fixe Metalle wie Schmuck oder Implantate DSGVO COMPLIANT SMD601 Plusprofiling _07BL6_CEIA - halbseitig - 178x121,5 mm.pdf; s1; (178.00 x 121.50 mm); 25.Oct 2022 16:29:42; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien auch hier in absehbarer Zeit über den Einsatz von Tintenlösungen zur Absicherung der Beschäftigten nachdenken wird. Denn nach einer Absicherung der GAAs suchen die Täter möglicherweise das nächstschwächere Glied in der Kette. Aus diesem Grund legen viele Banken und Sparkassen auch Wert auf den Einsatz intelligenter Tintensysteme, die später ohne Zusatzinvestitionen auf einen „E2E Prozess“ inkl. WTU umgestellt werden können. Aber auch andere Maßnahmen verringern das Risiko von Sprengungen. Wenn beispielsweise der Angriff auf den Geldautomaten sehr lange dauert, steigen die Chancen der Polizei, die Täter zu erwischen. Durch den Einsatz von Digitalfunk-­ Scannern ermitteln die Kriminellen die Standorte von Polizeifahrzeugen und gehen erst dann ans Werk, wenn eine schnelle Vor-Ort-Präsenz ausgeschlossen werden kann. Laut LKA-Statistik dauerte die schnellste Geldautomaten-Sprengung lediglich 38 Sekunden. Deshalb ist alles, was die Dauer eines Angriffs verlängert und damit dieWahrscheinlichkeit einer Entdeckung erhöht, ein empfehlenswertes Sicherheitsfeature. Dazu zählen beispielsweise die Verstärkung des Kopfchassis des GAA und die Absicherung der Öffnungen imTresor. Vor allem Letztere gilt es bestmöglich zu schützen – durch spezielle Abdeckungen für Kabeldurchbrüche und intelligente Lösungen, um die Öffnung zur Geldübergabe abzusichern. Dabei macht der Einsatz von Spezialstahl mit Bohrschutzfunktion Sinn, da solche Angriffe bereits im Feld beobachtet wurden. Auch Lösungen, die den Zugriff auf das System im Ganzen erschweren, sind eine sinnvolle Maßnahme, so etwa bewegliche, gegen Sprengungen getestete Sicherheitsglasscheiben oder Rollladensysteme, die das Gerät nachts nicht mehr direkt zugänglich machen. Zudem stellt der Einsatz von Videoüberwachung rund um den Geldautomaten eine wichtige Komponente im Sicherheitskonzept dar. Zwar tragen die Täter in der Regel Sturmhauben und bei der Auskundschaftung des Tatorts im Vorfeld aufgrund von Corona Schutzmasken, dennoch hat das Vorhandensein von Bildmaterial im Nachgang eine wichtige Beweisfunktion. Im Weiteren bieten solche Systeme die Möglichkeit einer Liveaufschaltung, um Situationen besser einschätzen und ggf. weitere Maßnahmen wie etwa Nebelsysteme gezielt auslösen zu können. Freistehende Pavillons für Geldautomaten Erwiesen sprengresistent sind moderne Pavillons in Zylinderform, die aus bis zu 15 Zentimeter starken stahlarmierten Betonwänden bestehen. In diesen Rundbauten steht der Geldautomat, Tastatur und Geldausgabe sind über eine Art Fensteraussparung erreichbar. Bisher mussten Angreifer auf diese Rundpavillons der neusten Generation stets ohne Beute abziehen. Damit der Rundpavillon auch nach einer versuchten Sprengung stabil steht und die Wände keine Risse aufweisen, muss dieWucht einer Explosion abgeleitet werden. Dafür sorgen intelligent eingebaute Sollbruchstellen. Zwei Varianten

GELD UND WERT 10 DSD 4 | 2022 haben sich als erfolgreich erwiesen: Bei der einen hebt der Deckel der Zylinderkonstruktion ein wenig ab. Bei der zweiten werden zwei Türen eingebaut. Eine RC2Zugangstür schützt dabei den Wertebereich. Drückt eine Explosion diese Tür nach außen, verhindert eine weitere innen liegende Tür aus engmaschigem Edelstahlgitter jeglichen unbefugten Zugriff auf den Tresor. Denn durch die Gitterstruktur kann der Explosionsdruck entweichen. Als Faustregel gilt: Je höher der SicherheitsstandardeinesGeldautomaten, umso höhere Befüllmengen sind durch Versicherungen abgedeckt. Drei Fragen an … Die Diebold Nixdorf-Experten Stefan Leßmann und Roland W. Sorke über weltweites Lernen von Kriminellen, das Identifizieren möglicher Risiken und die Ableitung wertvoller Maßnahmen. Was macht einen sicheren Geldautomaten aus? Stefan Leßmann: Der Grad an Sicherheit ist immer relativ. Es ist und bleibt ein Hase-Igel-Wettlauf gegen die Kriminellen. Wichtige Erfolgsfaktoren sind aus unserer Sicht dabei auf der einen Seite die enge Zusammenarbeit mit unseren Kunden, Polizeibehörden, Fachinstituten und den Versicherungen und auf der anderen Seite die globale Sicht auf unterschiedlichste Angriffsszenarien. Diebold Nixdorf als weltweit aktiver Anbieter von Bankenlösungen ist im ständigen Austausch mit allen Stakeholdern am Markt und greift bei der Entwicklung von Sicherheitslösungen stets auf die Erfahrungen aus unterschiedlichsten Ländern und Kontinenten zurück. Wesentlich sind die kontinuierliche Analyse und Weiterentwicklung. Diese Strategie ermöglicht uns aktuell zu sagen: Wir haben mit der DN Series die sicherste Geldautomaten-Familie der Welt! Warum wird dieser sichere Geldautomat nicht überall aufgestellt? Roland W. Sorke: Sicherheit kostet Geld. Und solange die Versicherungen die entstandenen Schäden ersetzen, gibt es für Banken wenig ökonomische Anreize, in die Sicherheit der Geldautomaten zu investieren. Wobei es weitere wichtige Aspekte gibt, die man beachten sollte: Viele Geldautomaten stehen in Filialen, die sich wiederum oft auch in Wohngebäuden befinden. Bei einer Sprengung ist die Filiale teils wochenlang geschlossen und muss aufwendig instand gesetzt werden. Und nicht zuletzt erhöht das Risiko möglicher Kollateralschäden den Reputationsverlust des Instituts. Die Existenz einer Bankfiliale mit nachts zugänglichen Geldautomaten kann manchmal sogar die Attraktivität ganzer Wohnanlagen erhöhen. Was raten Sie Banken, die demnächst Geldautomaten austauschen müssen? Stefan Leßmann: Natürlich könnte ich jetzt sagen, kaufen Sie die neue DN Series und Sie sind fein raus. Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit. Wir unterstützen die Durchführung einer umfassenden Risikoanalyse jeweiliger Standorte und die Verknüpfung verschiedener Schutzmaßnahmen. Nicht jede Sicherheitsmaßnahme muss zwingend an jedem Standort Sinn machen. Ein intensiver Austausch auf Fachebene mit allen Beteiligten ist hier der richtige Weg, um die Investitionen von Banken so effizient wie möglich zu gestalten. Wir bieten unseren Kunden ein sehr breites Spektrum an Lösungen an, um die stets individuellen Anforderungen und die der jeweiligen GAA-Standorte bestmöglich abdecken zu können. Ein wichtiger Baustein in der aktuellen Situation ist dabei die intelligente Tintenlösung. Je besser und intelligenter der Schutz ist, desto unattraktiver wird ein Angriff für die Täter. Sicherheitsrisiken können dadurch deutlich eingedämmt werden.

GELD UND WERT 11 DSD 4 | 2022 Geldautomatensprengungen Von Dr. Reinhard Scholzen Die Lagebilder des Bundeskriminalamtes „Angriffe auf Geldautomaten“ liefern viele Fakten zu den Sprengungen von Geldautomaten, lassen aber auch Fragen offen. Strohn, Jünkerath, Gerolstein, Hillesheim, Daun. Diese fünf Orte liegen im Landkreis Vulkaneifel, der für seine landschaftlichen Reize bekannt ist und regelmäßig erste Preise bei der Wahl der schönsten Wanderwege erringt. Bei Geologen ist die Vulkaneifel berühmt für ihre weltweit einzigartigen Gesteinsformationen, die, eng nebeneinanderliegend, tiefe Blicke in unterschiedliche Phasen der Erdgeschichte ermöglichen. Krimifreunde schätzen den „Tatort Eifel“. Weitaus weniger bekannt ist, dass auch Kriminologen etwas mit diesen Dörfern und Städten in der Eifel verbinden: Allen ist gemeinsam, dass dort in letzter Zeit ein oder gleich mehrere Geldautomaten gesprengt wurden. Modus Operandi Physische Angriffe auf Geldausgabeautomaten (GAA) sind keine neue Straftat. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kam dabei schweres Handwerkszeug wie Brecheisen und Spaltaxt zum Einsatz. Mit neu konstruierten, deutlich stabileren Geldautomaten änderte sich schrittweise der Modus Operandi: Die Täter rissen mit brachialer Gewalt das ganze Gerät aus seiner Verankerung oder rückten ihm an unterschiedlichen Stellen mit Trennschneidern oder diversen Schweißapparaten zu Leibe. Etwa ab dem Jahr 2013 wandelte sich die Tatbegehung noch einmal deutlich, als die Zahl der Automatensprengungen zunahm. Das Bundeskriminalamt veröffentlichte erstmals im Sommer 2016 die Erkenntnisse zu diesen Straftaten in dem Bundeslagebild „Angriffe auf Geldautomaten“. Seit dem Herbst 2015 nahmen die Fälle von Geldautomatensprengungen rasant zu. Die Auswertung des BKA ergab, dass häufig Orte in Nordrhein-Westfalen (70 Fälle) und Niedersachsen (28 Fälle) betroffen waren. Seither verzeichnet Nordrhein-Westfalen beständig und mit deutlichem Abstand zu den anderen Bundesländern die höchsten Fallzahlen (auf die Häufigkeitszahlen gehen wir weiter unten ein). Auffällig ist ein Blick auf die Monate, in denen die meisten dieser Straftaten verübt wurden. Im Oktober 2015 ereigneten sich 19, im November 32 und im Dezember sogar 43 Geldautomatensprengungen. Die Vorgehensweise der Täter änderte sich. Im Lagebericht für das Jahr 2015 führte das BKA aus, häufig würden die Geldautomaten „durch Einleitung eines Gases bzw. Gasgemisches und dessen anschließende Zündung gesprengt“. Dabei gab es Unterschiede im Detail. So wurden verschiedene Gase, Zündquellen und auch 0 50 100 150 200 250 300 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Jährliche Fallentwicklung Sprengung von Geldautomaten Vollendete Diebstähle Versuche wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public-Relations-(PR-)Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr. Die Erstveröffentlichung des Beitrags erfolgte unter www.veko-online.de. Wir bedanken uns für die Abdruckgenehmigung. Dr. Reinhard Scholzen, M. A.

GELD UND WERT 12 DSD 4 | 2022 Zündleitungen verwendet. Lediglich in Einzelfällen wurde gewerblicher Sprengstoff benutzt. Dies änderte sich rasch. Im Jahr 2018 erfasste das BKA 20 Fälle, in denen die Täter einen Festsprengstoff verwendeten. Für das Jahr 2020 konstatierte das BKA einen „sprunghaften Anstieg mit festen Explosivstoffen“. Über die Gründe führten die Autoren aus, viele Betreiber hätten neue Geräte beschafft, die mit innovativen Sicherungssystemen wie etwa Gasneutralisationssystemen ausgestattet seien. Darauf reagierten die Täter. Für das Jahr 2021 stellte das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) fest, dass zwei Drittel der Taten mit „Blitz-Knall-Körpern“ begangen wurden. In den ersten Monaten des Jahres 2022 stieg der Anteil der mit Feststoffen verübten Geldautomatensprengungen in NRW auf 87 Prozent. Die nordrhein-westfälische Polizei macht auf ihrer Internetseite auch umfangreiche Angaben zur Tatbegehung: „Bei der überwiegenden Anzahl der Fälle werden durch die Täter zwei Sprengungen durchgeführt. Zunächst wird der ‚Kopf‘ des GAA mit einer ersten Sprengung geöffnet, um dann im Rahmen einer zweiten Sprengung ein sogenanntes ‚Fascia-Paket‘ einzuführen und umzusetzen. Aufgrund der deutlich höheren Sprengwirkung von Explosivstoffen im Vergleich zu Gassprengungen entstehen regelmäßig hohe Schadensbilder an Gebäuden und der umliegenden Infrastruktur mit unkalkulierbaren Gefahren für unbeteiligte Dritte sowie eingesetzte Kräfte.“ Täter und Tatorte Eng miteinander verknüpft sind die Tatbegehungsweisen und die Tätergruppen. Bereits im ersten Bundeslagebild „Angriffe auf Geldautomaten“ stellte das BKA im Jahr 2015 heraus, „nur in wenigen Fällen“ seien In den BKA-Lagebildern angegebene Zahl der Tatverdächtigen im Zusammenhang mit Geldautomatensprengungen Jahr Tatverdächtige Nähere Erläuterungen 2015 20 Darunter zehn Deutsche, vier Niederländer 2016 45 Darunter 20 Niederländer 2017 35 Überwiegend Niederländer 2018 128 Überwiegend Niederländer 2019 132 68% reisende Täter 2020 168 Zwei Drittel reisende Niederländer 2021 124 50,8% Niederländer Die Folgen der Explosion eines Geldautomaten mit Geld in einer Bank in Deutschland. Bild: # 1388235450/Leesle/istockphoto.com

GELD UND WERT 13 DSD 4 | 2022 _07BLG_CONFIRMO - NEU ab DSD 03-2020 - viertelseitig_SW.pdf; s1; (114.98 x 155.96 mm); 25.Oct 2022 16:29:59; PDF-grau für Prinergy, L. N. Schaffrath DruckMedien Einzeltäter am Werk, fast immer würden die Taten von Tätergruppierungen begangen, die arbeitsteilig vorgingen. Es handelt sich somit in der Regel um Straftaten nach § 244a StGB, dem schweren Bandendiebstahl. Von Beginn an kamen viele Täter aus den Niederlanden und wiesen einen Migrationshintergrund aus Marokko auf. Nach Erkenntnissen der niederländischen Polizei und des LKA NRW waren die Täter überwiegend männlich und zwischen 18 und 35 Jahre alt. Die meisten lebten in den niederländischen Großstädten Utrecht, Rotterdam oder Amsterdam. Das LKA NRW beschrieb sie als „oftmals sehr polizeierfahren“, die sensibel auf verdeckte polizeiliche Maßnahmen reagierten und ständig dazulernten. Auch in der Gegenwart kommen viele Täter aus den Niederlanden, dies unterstreicht die Festnahme von 13 Tatverdächtigen im Juni 2022. Bereits im Jahr 2015 ging das Bundeskriminalamt davon aus, dass die zunehmende Zahl der Automatensprengungen in Deutschland ursächlich mit verstärkten Präventionsmaßnahmen in niederländischen Geldinstituten und dem hohen Verfolgungsdruck in unserem Nachbarland einherging. In den Folgejahren blieb der Anteil niederländischer Täter hoch und ebenso waren es in erster Linie Geldautomaten in ländlichen Regionen oder am Stadtrand, die gesprengt wurden. Vor diesem Hintergrund war es vorhersehbar, dass seit dem Jahr 2017 vermehrt auch Tatorte in Rheinland-Pfalz in der Statistik erschienen. Dort wurden im Jahr 2016 fünf Geldautomaten gesprengt, im Folgejahr waren es 23. Als Erklärung wiesen die Autoren des Lagebildes auf die in NRW und in Niedersachsen „eingerichteten zentralen Ermittlungskommissionen sowie eine intensive Zusammenarbeit mit den niederländischen Strafverfolgungsbehörden“ hin. Dies führte zu einemVerdrängungseffekt, wodurch die Täter vermehrt Objekte in Hessen und Rheinland-Pfalz ins Visier nähmen. Bei vielen Straftaten ist es nicht einfach, Antworten auf vermeintlich einfache Fragen zu finden. In welchem Bundesland ereignen sich die meisten Sprengungen von Geldautomaten? Das ist eine solche, schwierig zu beantwortende Frage. Beschränkt man sich nur auf die Zahl der Fälle, so bleibt außen vor, wie viele Menschen in diesem Bundesland leben und es wird nicht dessen Flächengröße berücksichtigt. Um ein Gesamtbild zu zeichnen, müsste unter anderem auch betrachtet werden, wie groß die Gesamtzahl der in einem Bundesland aufgestellten Geldautomaten ist, wo diese aufgestellt und wie sie gesichert sind. Die Häufigkeitszahl, also die Zahl der Geldautomatensprengungen umgerechnet auf je 100.000 Einwohner, liefert somit einen zwar griffigen, keineswegs aber alles erklärenden Wert. Schäden und Beute Im BKA-Lagebild für das Jahr 2015 sticht ins Auge, dass die Täter in 37 Prozent der Fälle keinen Erfolg hatten, also kein Bargeld erbeuteten. Im Folgejahr verließen sie sogar in 60 Prozent der Fälle den Tatort ohne Beute. Danach schwanken die Zahlen stark: 2017 machten die Verbrecher in 48 Prozent der Fälle Beute, 2018 waren es 37 Prozent, 2019 41 Prozent, 2020 endeten 38 Prozent der Taten für die Täter erfolgreich, im vergangenen Jahr waren es 48 Prozent. Ohne auf Details einzugehen, stellte das BKA für das Jahr 2015 heraus: „Der durch die Straftaten verursachte Sachschaden übersteigt den Beuteschaden in vielen Fällen deutlich. Bei einzelnen Häufigkeitszahl der Sprengungen von Geldautomaten (inklusive Versuche) Bundesland Jahr 2021 2020 2019 Baden-Württemberg 0,21 0,37 0,31 Bayern 0,13 0,18 0,21 Berlin 0,71 0,11 0,28 Brandenburg 0,54 0,08 0,20 Bremen 0,44 1,00 0,14 Hamburg 0,05 0,06 0,06 Hessen 0,89 0,48 0,85 Mecklenburg-Vorpommern 0,31 0,19 0,06 Niedersachsen 0,69 0,56 0,56 Nordrhein-Westfalen 0,85 0,98 0,59 Rheinland-Pfalz 0,56 0,85 0,54 Saarland 0,61 0,30 0,60 Sachsen 0,10 0,15 0,34 Sachsen-Anhalt 0,60 0,73 0,59 Schleswig-Holstein 0,03 0,31 0,17 Thüringen 0,28 0,50 0,32

GELD UND WERT 14 DSD 4 | 2022 Straftaten entstand ein Sachschaden in sechsstelliger Höhe.“ Im Jahr 2017 wurden in Einzelfällen Schäden angerichtet, die sogar über einer Million Euro lagen. Ein Jahr später gab das BKA die Gesamtsumme der Begleitschäden mit einem „mittleren zweistelligen Millionenbereich“ an. Nähere Angaben über Beute und Schadenshöhe finden sich in der Betrachtung des Jahres 2019. Als durchschnittliche Beutesumme wurden 107.000 Euro angegeben (Gesamtsumme 2019: 15,2 Mio. Euro) und die Begleitschäden durch die Geldautomatensprengungen wurden wie in den Vorjahren auf einen „mittleren zweistelligen Millionenbereich“ geschätzt. 2020 stieg die Gesamtsumme der Beute auf 17,1 Mio. Euro an und steigerte sich im Jahr 2021 nochmals auf 19,5 Mio. Euro. Nach wie vor überstiegen die Begleitschäden diesen Wert deutlich. Präventionsmaßnahmen Bereits im Oktober 2015 gab das LKA NRW für die Betreiber von Geldautomaten Handlungsempfehlungen heraus. Sie waren das Ergebnis eines intensiven Erfahrungs- und Informationsaustauschs, an dem auch die Produzenten unterschiedlicher Sicherheitstechniken beteiligt waren. Darüber hinaus nahmen an den Gesprächen auch Vertreter von Versicherungen und Polizisten aus den Niederlanden teil. Diese Erfahrungen und die Erkenntnisse aus anderen Bundesländern – beispielsweise die im Jahr 2018 in Rheinland-Pfalz geschaffene Projektgruppe „Sprengung von Geldautomaten“ – flossen im Jahr 2019 in den Maßnahmenkatalog ein, den die Projektgruppe „Geldautomatensprengungen“ der „Kommission Polizeiliche Kriminalprävention“ erarbeitete. Hieraus ergaben sich ständig aktualisierte Empfehlungen zur Umsetzung unterschiedlicher Sicherungsmaßnahmen an die Betreiber von Geldautomaten. Hierzu zählen auch diverse Sicherungssysteme, von denen in der Öffentlichkeit Farbpatronen sowie Spezialkleber bekannt sind, die die Geldscheine für die Täter unbrauchbar machen. Das LKA NRW geht aber noch einen Schritt weiter. Seit dem Jahr 2020 drängt es darauf, das Aufstellen von Geldautomaten nur dann zuzulassen, wenn ausreichende Sicherungen vorhanden sind. Die Innenminister wollen noch mehr über diese Straftaten wissen. Sie gaben daher im Jahr 2020 den Auftrag an die Landeskriminalämter, die Datenlage umfassend zu erfassen. Zu diesem Zweck wurde von einer Projektgruppe ein „Erfassungsbogen zur Tatortaufnahme – Sprengung von Geldautomaten“ verfasst. Die IMK will die Ergebnisse während ihrer Herbsttagung 2023 besprechen. Auf dieser Grundlage ging die 215. Sitzung der Innenministerkonferenz im Dezember 2021 das Thema an. Die Ergebnisse sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Ebenso wenig die Resultate des TOP 32 in der IMK-Sitzung vom Juni 2022, in dem die Möglichkeiten der „Bekämpfung des Deliktsphänomens Sprengungen von Geldausgabeautomaten“ besprochen wurden. Bereits jetzt kann man jedoch sagen, dass die Erklärungen und damit die daraus zu ziehenden Konsequenzen nicht auf der Hand liegen. Betrachtet man den eingangs erwähnten Landkreis Vulkaneifel, so wird dies deutlich. Zwar hat Rheinland-Pfalz umgerechnet auf die Bevölkerung bundesweit die geringste Polizeidichte, aber mehrere der gesprengten Automaten in der Vulkaneifel standen nur wenige Hundert Meter von einer Polizeiinspektion beziehungsweise einer Polizeiwache entfernt. Da greift das Argument des weiten Weges zum Tatort schlichtweg nicht. Ein Aspekt kommt in der bundesweiten Betrachtung bisher zu kurz, hat jedoch in großflächigen, aber nur dünn besiedelten Regionen durchaus schwerwiegende Auswirkungen auf die Bevölkerung: Viele Banken schließen ihre Filialen nach Geldautomatensprengungen für immer. Diesen Weg will der Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse Vulkaneifel nach der Automatensprengung in der Filiale in Jünkerath, bei der Ende Juni 2022 ein Schaden von 300.000 bis 400.000 Euro entstand, nicht gehen. Dietmar Pitzen betonte: „Wir bleiben in Jünkerath, werden den Standort wieder aufbauen.“ Allerdings werde dies Monate dauern, denn es sei an der Geschäftsstelle ein Totalschaden entstanden, da die Druckwelle auch die sieben Büros der Filiale zerstört habe. Weite Wege zum nächsten Geldautomaten werden den Kunden jedoch erspart. Bargeld können sie gebührenfrei am Geldautomaten der Volksbank erhalten. Bild: BKA-Bundeslagebild 2021„Angriffe auf Geldautomaten“

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