DER SICHERHEITSDIENST

65 DSD 4 | 2022 VERGABERECHT § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV setzt weiterhin voraus, dass die Umstände zur Begründung der Dringlichkeit dem öffentlichen Auftraggeber nicht zuzurechnen sind. Hier stellt die VK klar, dass der öffentliche Auftraggeber der Herr des Vergabeverfahrens ist. Die Abläufe des Verfahrens sind daher stets seiner Sphäre zuzurechnen und Verzögerungen in einem regulären Vergabeverfahren somit regelmäßig dem öffentlichen Auftraggeber zuzurechnen. Die VK konnte vorliegend nicht erkennen, dass die eingetretenen Verzögerungen auf höhere Gewalt oder eine akute Gefahrensituation zurückzuführen wären. Diese Voraussetzung für die Ausnahme lag damit ebenfalls nicht vor. Die VK führt weiter aus, dass dem Auftraggeber die aufwendigen Verfahrensschritte vor der Zuschlagserteilung bekannt waren. Im Vergabevermerk wies er selbst auf eine zeitaufwendige Neuausschreibung wegen hoher Prüfungsanforderungen bei den Angeboten hin. Es hätte dem Auftraggeber daher oblegen, ausreichend Zeit für das Vergabeverfahren einzuplanen. Die VK bemängelte zudem, dass der Auftraggeber den Neubedarf bereits im September 2021 erkannte, das Vergabeverfahren letztlich jedoch erst im Februar 2022 einleitete und damit ca. fünf Monate für die Vorbereitung des Vergabeverfahrens benötigte. Insbesondere weil es sich um die Neuausschreibung eines fortlaufenden Beschaffungsbedarfes handelte, konnte die VK keine tragfähige Erklärung für die lange Vorbereitungszeit erkennen. Auch hier stellt sie darauf ab, dass es dem Auftraggeber obliegt, ausreichend Zeit für die Durchführung des Vergabeverfahrens einzuplanen, insbesondere da der Zeitbedarf für ein EUweites Vergabeverfahren hinlänglich bekannt ist. Die Direktvergabe ohne Herstellung irgendeiner Art von Wettbewerb beurteilt die VK als schweren Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz aus § 97 Abs. 1 GWB. In der Folge erklärt sie daher den geschlossenen Vertrag gemäß § 135 Abs. 2 GWBfür unwirksam. Der öffentliche Auftraggeber muss damit für den Fall, dass neben dem durchgeführten offenen Verfahren weiterhin ein Beschaffungsbedarf für eine Übergangszeit besteht, auch hierfür ein wettbewerbliches Verfahren durchführen. Praxishinweise Die Entscheidung zeigt, dass auch die Auswertung der Bekanntmachung vergebener Aufträge lohnenswert sein kann. Der Auftraggeber hat im vorliegenden Fall das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb genutzt, um einen vertragslosen Zeitraum möglichst zügig zu beenden und „ohne großen Aufwand“ Beschaffungen durchzuführen. Die Vergabe sogenannter Interimsaufträge in Verfahren mit nur einem Bieter mit der Begründung, dass eine besondere Dringlichkeit vorliege, die ein wettbewerbliches Verfahren unmöglich mache, versuchen öffentliche Auftraggeber immer wieder. Die Entscheidung der VK zeigt jedoch deutlich, dass die Voraussetzungen, mit denen ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wegenbesondererDringlichkeitdurchgeführt werden kann, äußerst eng sind. Insbesondere können Verzögerungen im eigentlichen Vergabeverfahren nicht dazu herangezogen werden, eine solche Dringlichkeit zu begründen. Der öffentliche Auftraggeber ist einmal mehr gut beraten, insbesondere langfristig erkennbaren Beschaffungsbedarf mit ausreichend Vorlauf zu planen und das Vergabeverfahren entsprechend zu terminieren. Für den am Auftrag interessierten Bieter, der für die Vergabe des Interimsauftrags nicht berücksichtigt wird, kann sich der Weg zur Vergabekammer lohnen, um sich eine Chance auf Beteiligung am Verfahren zu wahren. Bild: #258916633/AdobeStock

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