DER SICHERHEITSDIENST

KRITISCHE INFRASTRUKTUR (KRITIS) 31 DSD 2 | 2023 Attacke aufs Eingemachte Bedrohung und Schutz Kritischer Infrastrukturen Von Reinhard Rupprecht Der prognostizierte Mangel an ausreichender Energieversorgung durch Abbruch der Gaslieferungen aus Russland, der drastische Preisanstieg bei bestimmten Rohstoffen und vor allem die Angriffe auf Nord Stream 1 und 2 sowie auf die Kommunikationsnetze der Deutschen Bahn haben die Kritikalität und Bedrohung Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) im öffentlichen Bewusstsein, in Politik, Wirtschaft und Medien verstärkt. Die Komplexität der KRITIS, die Strategie, Möglichkeiten und Grenzen für ihren Schutz sowie die Notwendigkeit einer Notfallplanung zu verdeutlichen, ist das Ziel dieses Beitrags von MinDir a.D. Reinhard Rupprecht. Der Begriff der KRITIS war bis Ende des vorigen Jahrhunderts nicht gebräuchlich. Seither hat er sich aber in der ökonomischen, technologischen und sozialwissenschaftlichen Begriffswelt etabliert. Nach der allgemein anerkannten Definition des Bundesinnenministeriums sind KRITIS Organisationen und Einrichtungen von wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Die Komplexität der so definierten KRITIS lässt Spielraum für Abgrenzungen. Der Begriff eignet sich hervorragend für politische Bewertungen und strategische Zielsetzungen, bedarf aber als Rechtsbegriff der Präzisierung und der Eingrenzung durch Schwellenwerte. Die Kritikalität ergibt sich aus der Bedeutung einer Branche, einer Struktur, eines Logistikprozesses, einer Organisation oder eines Unternehmens für den existenziellen Bedarf der Bevölkerung, des Staates oder der Wirtschaft. In seiner Komplexität umfasst der Begriff sowohl KRITIS auf dermikroökonomischen als auch auf der makroökonomischen Ebene einer Branche, einer Volkswirtschaft oder einer internationalenWirtschaftsgemeinschaft. Nach der aktuellen branchenspezifischen Einteilung des BMI, des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und des Bundesamtes für Sicherheit der Informationstechnik (BSI) gehören zu KRITIS die Branchen Energie, Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wassernutzung, Finanz- und Versicherungswesen, Staat und Verwaltung sowie Medien und Kultur, nach dem IT-Sicherheitsgesetz 2.0 zusätzlich die Siedlungsabfallentsorgung und „Unternehmen im besonderen öffentlichen Interesse“. Das sind Unternehmen der Rüstungsindustrie, Unternehmen mit IT-Sicherheitsfunktionen für Verschlusssachen, die nach ihrer inländischen Wertschöpfung größten Unternehmen Deutschlands mit Zulieferern sowie Unternehmen, die Gefahrstoffe verarbeiten und unter die Störfall-VO fallen. Insgesamt lassen sich KRITIS mehr als 20 Wirtschaftsbranchen zurechnen. Gefahren- und Bedrohungsspektrum KRITIS sind höchst unterschiedlichen Risiken und Bedrohungen ausgesetzt. Sie reichen von dem Mangel an Rohstoffen und Energiequellen über die Vernachlässigung eines Versorgungsbereichs aufgrund politischer oder unternehmerischer Fehlentscheidungen und dem Fehlen qualifizierter Fachkräfte bis hin zu feindlichen, terroristischen, extremistischmotivierten und kriminellen Angriffen sowie katastrophalen Naturereignissen einschließlich Pandemien. Die Breite dieses Bedrohungsspektrums lässt sich durch aktuelle Entwicklungen und aufsehenerregende Sicherheitsvorfälle verdeutlichen: Die Ausbreitung des COVID-19-Virus seit 2020 ist die folgenschwerste Pandemie weltweit seit Menschengedenken, hat Millionen Todesopfer gefordert und das Gesundheitswesen in vielen Ländern überfordert. Auch in Deutschland sind viele Krankenhäuser durch die Vielzahl schwerer Krankheitsverläufe und personelle Engpässe an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gestoßen. Die totale LockdownPolitik in China führt weltweit zu Lieferengpässen und Produktionseinschränkungen. Naturkatastrophen wie die durch einen Tsunami ausgelöste folgenschwere Explosion im Atomkraftwerk Fukushima hat über vieleTodesopfer und regionale Zerstörungen hinaus in Deutschland das Ende der Vizepräsident des BKA a.D., Ministerialdirektor beim BMI a.D. und heute als unabhängiger Berater in Sicherheitsfragen tätig Die Erstveröffentlichung des Beitrags erfolgte in der Ausgabe 3/2023 der Zeitschrift GIT SICHERHEIT. www.git-sicherheit.de Wir bedanken uns für die Abdruckgenehmigung. Reinhard Rupprecht

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