DER SICHERHEITSDIENST

80 DSD 2 | 2024 DAS LETZTE WORT Sozialversicherungsbeiträge: Dynamik ohne Grenzen? Von Dr. Peter Schwark Die Ampelkoalition in Berlin streitet. Den einen geht es um den Haushalt, den anderen geht es um die Rente. Alles hängt ein Stück weit mit allem zusammen. So ist das in schwierigen Zeiten in schwierigen Konstellationen nun einmal. Wir kennen das auch aus der Tarifpolitik. Aber am Ende muss man sich hier wie da zusammenraufen. Die Frage ist aus Arbeitgebersicht: zu welchem Preis? Das Rentenpaket II wird durch die Fixierung der Haltelinie bei einem Rentenniveau von 48 Prozent in den nächsten 20 Jahren Mehrkosten bedeuten von über 500 Milliarden Euro. Manche sagen, das Rentenpaket II ist das teuerste Sozialpaket des Jahrhunderts. Die Rechnung bezahlen werden die Steuerzahler und die Beitragszahler. Denn für deren Leistungen sind Haltelinien nicht vorgesehen. Und Beitragszahler sind zur Hälfte die Arbeitgeber. Die Arbeitskosten werden weiter steigen. Die Arbeitnehmer werden ebenfalls weniger netto in der Tasche haben. Die von den Arbeitgeberverbänden bis zuletzt hart verteidigte Schallmauer eines Gesamtsozialversicherungsbeitrags von 40 Prozent ist längst gefallen. Im Januar 2023 hat er mit 40,45 Prozent die 40-Prozent-Schwelle überschritten. Bis zum Januar 2024 stieg der Beitragssatz schrittweise weiter und erreicht seitdem bei kinderlosen Arbeitnehmern 41,5 Prozent. Und das ist erst der Anfang: Ohne Reformen könnte der Beitragssatz bis 2050 gar bei über 50 Prozent liegen. Besonders gut zu beziffern ist die künftige Rentenbeitragsbelastung. Wer bereits geboren wurde, ist bekannt. Auch wie viele Menschen nicht geboren wurden, ist bekannt, auch wer in etwa wann in Rente geht. Wenn die Babyboomer ab 2025 den Arbeitsmarkt verlassen, werden in zunehmender Zahl aus Beitragszahlern Leistungsempfänger. Der Rentenbeitragssatz wird in den nächsten Dekaden auf über 22,3 Prozent steigen. Dass die abschlagsfreie Rente mit 63 diesen Prozess beschleunigt hat, ist unstrittig. Dennoch wird das öffentlich nur wenig diskutiert. Bundeskanzler und Sozialminister haben eine Korrektur ausgeschlossen. Dabei wäre die Abschaffung dieses Privilegs eine einzigartige Stellgröße in der Rentenversicherung, die gleichzeitig Einnahmen verbessern und Ausgaben reduzieren könnte. Ganz abgesehen von dem positiven Beitrag für Arbeitsmarkt und Fiskus. Aber Kostendynamik kommt nicht nur aus der Rente. Der Gesundheitsfonds ist nur noch knapp gefüllt. Die nächste Beitragssatzanhebung ist absehbar. Die Beitragssatzentwicklungen in der Kranken- und der Pflegeversicherung sind auch Spiegel der inhärenten Kostendynamik und weit weniger gut langfristig prognostizierbar. Sowohl Preissteigerungen als auch Leistungsverbesserungen speisen die Beitragsdynamik. In der Pflegeversicherung kommt die demografisch bedingt wachsende Zahl an Leistungsbeziehern dazu. In der Krankenversicherung hat der Bund gerade eben erst angekündigt, neben den Ländern Finanzierungsbeiträge leisten zu wollen zum Krankenhausreformprogramm. Bundesbeteiligungen in der Gesundheit kommen entgegen dem Begriff in aller Regel jedoch nicht vom Bund, sondern regelmäßig von den gesetzlichen Krankenversicherungen, damit vom Beitragszahler, und belasten on top wieder die Arbeitskosten. Eine politische Kraft, die der Kostendynamik Grenzen setzt, ist nicht in Sicht. Das ist auch nicht populär. Denn Leistungskürzungen in der Sozialversicherung werden von den Betroffenen viel intensiver empfunden und heftiger bekämpft als Steigerungen der Beitragssätze etwa für Arbeitnehmer von den Gewerkschaften. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es nur selten ein Momentum für durchgreifende Reformen. Zuletzt waren es die Agenda-2010-Reformen der rot-grünen Regierung nach der Jahrtausendwende, vor dem Hintergrund von mehr als fünf Millionen Arbeitslosen. Wir sind heute nicht in einer vergleichbaren Situation. Aber Deutschland trägt im Wirtschaftswachstum schon die rote Laterne. Es ist Zeit zu handeln. Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft (BDSW) und der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW) Dr. Peter Schwark

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