DER SICHERHEITSDIENST

59 DSD 2 | 2022 VERGABERECHT Die Vergabekammer geht davon aus, dass es für die Anwendbarkeit des § 130 Abs. 1 GWB nicht ausreicht, dass die auszuschreibende Dienstleistung sich im Anhang 14 der Richtlinie wiederfindet, sondern dass zusätzlich erforderlich ist, dass die Voraussetzungen der Gesetzesbegründung und des Erwägungsgrundes 112 der Richtlinie erfüllt werden. Für die Vergabe von Sicherheitsdienstleistungen zur Überwachung von Flüchtlingsunterkünften sieht die Vergabekammer diese Voraussetzungen gerade nicht als erfüllt an. Die Kammer begründet dies insbesondere damit, dass sie im Gegensatz zur Ansicht des betroffenen Auftraggebers sehr wohl eine grenzüberschreitende Dimension des zu vergebenden Auftrages sieht. Die Gesetzesbegründung stelle den Ort der Leistungserbringung und die dort vorherrschende kulturelle Tradition, die sich von der anderer Mitgliedstaaten stark unterscheide, als Grund für die eingeschränkt grenzüberschreitende Dimension heraus. Bei der Bewachung insbesondere von Flüchtlingsunterkünften, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass unterschiedlichste Personen mit unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen gemeinsam betreut werden, trifft dies jedoch gerade nicht zu. Insbesondere treffen diese Merkmale auf alle in der EU betriebenen Flüchtlingsunterkünfte zu. Eine nur eingeschränkt grenzüberschreitende Dimension der Dienstleistung kann die Vergabekammer daher nicht erkennen. Im Ergebnis erteilt die Vergabekammer, dass die falsche Verfahrensart gewählt worden ist, wodurch die Antragstellerin – aber auch alle übrigen Bieter – in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt worden sind. Der Rechtsverstoß lässt sich nur (noch) dadurch heilen, dass das Vergabeverfahren insgesamt aufgehoben und unter Zugrundelegung der richtigen Verfahrensarten neu ausgeschrieben wird. 3. Praxishinweise Bislang sind Sicherheitsdienstleistungen, insbesondere auch Bewachungsdienstleistungen, stets als „besondere Dienstleistungen“ im Sinne von § 130 GWB qualifiziert worden. Für den Auftraggeber bedeutete dies einerseits, dass er die freie Wahl zwischen den zur Verfügung stehenden Verfahrensarten hatte, ohne dies näher begründen zu müssen. Andererseits bedeutete dies aber auch, dass ein EU-weites Vergabeverfahren erst dann notwendig wurde, wenn der für „soziale und besondere Dienstleistungen“ in der EU-Richtlinie gesondert festgelegte Schwellenwert erreicht wurde. Der Schwellenwert für „besondere und soziale Dienstleistungen“ wird in der EURichtlinie auf 750.000 Euro festgelegt. Für sonstige Liefer- und Dienstleistungen beträgt der Schwellenwert im Gegensatz dazu lediglich 215.000 Euro. Wenn öffentliche Auftraggeber der Auffassung der Vergabekammer Westfalen in Zukunft folgen, werden Sicherheitsdienstleistungen sehr viel eher in einem EU-weiten Vergabeverfahren zu vergeben sein, als dies bislang der Fall war bzw. gehandhabt worden ist. Dies bedeutet insbesondere auch, dass diese Dienstleistungen nicht mehr ohne Weiteres in einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vergeben werden können, sondern dem öffentlichen Auftraggeber lediglich das offene Verfahren oder das nicht offene Verfahren mit Teilnahmewettbewerb zur Verfügung stehen. Insgesamt ist durch diese Entscheidung der Vergabekammer Westfalen eine Änderung in der Ausschreibungspraxis für Bewachungsdienstleistungen zu erwarten, da hiernach Bewachungsdienstleistungen bereits bei Unterschreitung des Schwellenwertes von 215.000 Euro jetzt EU-weit nur noch in den Verfahrensarten des offenen Verfahrens oder des nicht offenen Verfahrens auszuschreiben sind. Andererseits werden Bieter diese Verstöße künftig auch unmittelbar zu rügen haben, um einen zulässigen Nachprüfungsantrag aufgrund der Rügefristen stellen zu können. Bild: #277471449/AdobeStock

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