GELD UND WERT 22 DSD 4 | 2025 Bargeld – kleine Scheine, große Wirkung Von Kirsten Bock Fehlt eine ausreichende Menge Bargeld im Umlauf, entsteht eine starke Abhängigkeit von Banken, Zahlungsdienstleistern und technischen Systemen. Fallen das Internet oder der Strom aus, wäre der Zugang zu Geld sofort eingeschränkt. Bargeld ist weit mehr als kleine Münzen oder Scheine – es ist Symbol, Werkzeug und Garant der marktwirtschaftlichen Freiheit in unserer Gesellschaft. Seine Bedeutung reicht tief und prägt unseren Alltag, unsere Gemeinschaft und unser demokratisches Selbstverständnis. Nur Bares ist Wahres – wer kennt diesen Spruch seiner Groß- oder Urgroßeltern nicht? Er stammt aus einer Zeit, in der man vor allem mit Bargeld zahlte, weil Schecks und Überweisungen platzen oder rückgängig gemacht werden konnten. Heute haben wir Vertrauen in Zahlungsdienste, und auch bei der Währung steht lange nicht mehr die Gold- oder Silbermünze als verlässliches Zahlungsmittel im Vordergrund. Wir zahlen mit Karte und per Klick, elektronisch und in Millisekunden. Was aber, wenn diese Zahlungswege verschlossen bleiben? Wenn bei einem länger anhaltenden Stromausfall oder einem Cyberangriff die Zahlungsdienste nicht erreichbar sind oder das Smartphone abhandenkommt? Für diese Fälle mit etwas Bargeld vorzusorgen, leuchtet unmittelbar ein. Aber es gibt noch weitere Gründe, warum Bargeld auch in einer digitalisierten Gesellschaft eine wichtige Rolle übernimmt und in ausreichender Menge im Umlauf sein sollte. Im Oktober titelte so auch DER SPIEGEL „Die Dänen sollen sich wieder an Bargeld gewöhnen“. In der digitalisierten Gesellschaft wechselt Geld per MobilePay-Nummer. Trotzdem rät die dänische Nationalbank ihren Bürgerinnen und Bürgern, zumindest einen Barvorrat für einige Tage vorrätig zu halten. Das Gleiche wird in Österreich, den Niederlanden, Finnland, Schweden und der Schweiz den Bürgerinnen und Bürgern empfohlen. In Deutschland rät das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, ausreichend Bargeld für den Fall von Stromausfällen und anderen Krisen im Hause zu haben. Und auch die Deutsche Bundesbank hat sich jüngst in ihrem 6. Bargeldsymposium 2025 mit der Bedeutung des Bargelds bei zunehmend digitalem Zahlungsverkehr befasst. Wird mehr und mehr digital gezahlt, schrumpft die Menge des im Umlauf befindlichen Bargelds. Das Verschwinden des Bargelds hat weitreichende gesellschaftliche Folgen, die weit über den Zahlungsverkehr hinausgehen. Freiheit und Freiräume Der wohl gravierendste Wandel wäre der umfassende Verlust der Möglichkeit, Bezahlvorgänge anonym und unbeobachtet abzuwickeln. Bei Bargeschäften wird niemandem über die Schulter geschaut und die Einkäufe über Wochen, Monate und Jahre notiert. Im Gegensatz dazu lässt sich jede digitale Transaktion nachvollziehen, wodurch ein umfassendes Bild über die Aufenthaltsorte, das Konsumverhalten, die Gesundheit und die Lebensgewohnheiten der Menschen entsteht. Zwar haben die meisten Menschen noch das Gefühl, durch ihr Zahlungsverhalten keine relevanten Informationen über sich preiszugeben, weil deren Auswirkungen kaum spürbar sind und jede einzelne Information für sich genommen irrelevant erscheint. Doch das elektronische Zahlen eröffnet Marktplätze für solche Informationen. Die Recherchen von Netzpolitik.org zeigen, dass das Netz der Werbeindustrie und Zahlungsdienstleister enger zusammenwächst. Wann immer wir zum Einkaufen eine App nutzen, eine Website besuchen oder mit einer Kreditkarte bezahlen, können diese Daten in einer Sammlung landen. Hunderte Firmen speichern und nutzen die Informationen unseres Einkaufverhaltens in über 650.000 Kategorien. Zu den Kategorien gehören zum Beispiel nicht nur allgemeine Kriterien wie„Frau in Deutschland“,„Alter: 30–39“ oder„Besuchte Orte: Aldi Nord“, sondern auch hochsensible Kategorien wie: Homosexuelle, Jüd*innen, Muslim*innen, Menschen mit Depression oder Krebs oder gar Einschätzungen wie„Fragile Senioren“, „Shoppingversessene Mamas“, „Menschen, die weniger rauchen wollen“, „Soldatin“, Viagra, ungesunde Orte,„Ich komme immer zu kurz“ usw. Juristin mit Schwerpunkt Rechtsphilosophie und wissenschaftliche Leiterin der Stiftung Datenschutz https://stiftungdatenschutz.org Kirsten Bock
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