DER SICHERHEITSDIENST

60 DSD 1 | 2023 BERICHT AUS BERLIN Viele Sicherheitsstrategien – viele Umsetzungsdefizite Von Rechtsanwalt Dr. Berthold Stoppelkamp Im Berichtszeitraum November 2022 bis Januar 2023 waren die sicherheitspolitische Diskussion und mediale Berichterstattung weiterhin maßgeblich durch den anhaltenden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die vermeintlich notwendigen Schritte zur Beendigung dieses Krieges bestimmt. Im Dezember 2022 bestimmte innenpolitisch der größte Antiterroreinsatz deutscher Sicherheitsbehörden in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegen Rechtsextremisten und „Reichsbürger“ die Berichterstattung und sicherheitspolitische Debatte. Seit Silvester ist bedingt durch extreme Gewalttätigkeiten Jugendlicher gegen Rettungskräfte und Polizei, speziell in Berlin – aber auch in anderen Städten – wieder die Frage latent, ob Deutschland ein Migrationsproblem hat. Im Nachgang zur Räumung des Dorfes Lützerath zwecks Braunkohleabbau gab es eine Debatte über Gewalt von Klimaaktivisten und Polizei bei Demonstrationen. Etwas weniger mediale Beachtung fanden wichtige Schritte auf europäischer (EU-Richtlinie über Resilienz kritischer Einrichtungen) und nationaler Ebene (Eckpunkte für ein KRITISDachgesetz) zum Schutz Kritischer Infrastrukturen. Viele Sicherheitsstrategien Zu allen in der Einleitung aufgezeigten Themenfeldern und Problemlagen existieren seit Jahren auf Bundes- und Landesebene unzählige Strategien, Initiativen und politische Absichtserklärungen in Koalitionsverträgen. Die Federführung bei der Strategieentwicklung bzw. bei Initiativen zur Sicherheitspolitik ist häufig auf Regierungsseite bei verschiedenen Ministerien angesiedelt, und die personellen und finanziellen Ressourcen sind sehr unterschiedlich verteilt. Trotz dieser vielfältigen strategischen Ansätze und Initiativen für ein Mehr an Sicherheit ist es bis heute nicht gelungen, die aufgezeigten Problembereiche bzw. Bedrohungen für die Sicherheit ausreichend zu analysieren, darauf aufbauend Gegenstrategien zu entwickeln und für Handlungsoptionen belastbare Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Es macht wenig Sinn, über den Einsatz deutscher Rüstungsgüter in der Ukraine wochenlang zu diskutieren, wenn die hierfür notwendigen Rüstungsgüter, z. B. Kampfpanzer und Munition aus Beständen in Deutschland, kurz- und mittelfristig nicht ausreichend zur Verfügung stehen und Deutschland nicht bereit ist, eine Führungsrolle zu übernehmen. Es macht wenig Sinn, über eine viel größere Zahl von Polizisten zu diskutieren, wenn sich aufgrund des demografischen Wandels bereits jetzt in einzelnen Bundesländern die Personalakquise schwierig gestaltet. Es macht wenig Sinn, über eine umgehende Verurteilung von Straftätern zu diskutieren, wenn man zu wenig Staatsanwaltschaften und Polizei zur Tatermittlung und zu wenig Richter zur Aburteilung hat. Es macht wenig Sinn, den Betreibern Kritischer Infrastrukturen im Bereich der Cybersicherheit und bald auch beim physischen Schutz immer mehr und höhere Schutzpflichten aufzuerlegen, wenn die Betreiber nicht ansatzweise personell, fachlich und wirtschaftlich in der Lage sind, die von staatlicher Seite gesetzten Standards flächendeckend zu erfüllen. Meine kritischen Anmerkungen sollen aber auf keinen Fall als ein Votum, nicht mehr für Sicherheit zu tun, missverstanden werden. Sie sollen nur ein Appell an die Politik sowie den Gesetz- und Verordnungsgeber sein, bei der Entwicklung von Sicherheitsstrategien einen realistischen Ansatz zu verfolgen. Realistischer Strategieansatz Was bedeutet dies? Es sollten nicht allein politische Ziele und Interessen in den Mittelpunkt gestellt werden, sondern heute und zukünftig verGeschäftsführer des BDSW Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft in Berlin RA Dr. Berthold Stoppelkamp

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