DER SICHERHEITSDIENST

KRITISCHE INFRASTRUKTUR 44 DSD 1 | 2023 Zeitenwende für den Bevölkerungsschutz Im Gespräch mit Wolfgang Bosbach und Fritz Rudolf Körper Pandemie, Krieg, Klimakatastrophen: Der Bevölkerungsschutz steht vor riesigen Herausforderungen. Mitglieder des KÖTTER Sicherheitsbeirates geben Denkansätze. Das Interview führte Carsten Gronwald, Pressesprecher der KÖTTER GmbH & Co. KG Verwaltungsdienstleistungen. Herr Bosbach, haben Sie Deutschland und Europa zuvor schon einmal in einem vergleichbaren Krisenmodus erlebt? Wolfgang Bosbach: Nein, glücklicherweise nicht! In der Tat löste in den letzten 15 Jahren eine Krise die andere ab: zunächst die Euro-­ Währungs- und Finanzkrise, 2015/2016 die Flüchtlingskrise, dann kamen kurz hintereinander die Coronakrise und der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Als Begleiterscheinung dann auch noch die Energiekrise und parallel dazu die Klimakrise. Immer wieder wurden die Regierungen mit neuen Herausforderungen konfrontiert, und die Bürger fragen sich verständlicherweise, wann denn endlich wieder einmal etwas Ruhe und Normalität einkehren. Was ist hiervon die größte Herausforderung? Oder sind es ganz andere Risiken? Wolfgang Bosbach: Neben der Klimakrise und ihren globalen Auswirkungen ganz eindeutig der Krieg in der Ukraine. Er ist ja nicht nur eine Tragödie für das flächenmäßig zweitgrößte Land Europas, für alle Opfer, alle Menschen, die dort leben oder aus dem Land fliehen mussten. Er hat auch mittelbare Folgen für viele andere Länder, die zum Beispiel von der explosionsartigen Verteuerung der Energie, von gestörten Lieferketten oder einer Lebensmittelknappheit betroffen sind. Denn die Ukraine ist bedeutender Erzeuger von Getreide mit einem hohen Exportanteil. Herr Körper, welche notwendigen Konsequenzen ergeben sich daraus für den Bevölkerungsschutz in Deutschland? Fritz Rudolf Körper: Vorab: In jeder Krise liegt auch eine Chance. Wir leben in einer Zeit dramatischer Veränderungen, für die Staat und Gesellschaft passende präventive Strategien entwickeln müssen. Das betrifft neben der Verteidigungspolitik eben insbesondere auch den Bevölkerungsschutz mit einer Vielzahl von Themen: von Naturkatastrophen und Pandemien über Cybercrime bis hin zu Versorgungsengpässen und Energiekrisen. Deutschland ist beim Bevölkerungsschutz also nicht umfassend aufgestellt? Fritz Rudolf Körper: Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Deutschland verfügt schon immer über einen gut aufgestellten Zivil- und Katastrophenschutz. Aber jetzt geht es um die Frage: Wo stehen wir? Und die Antwort lautet: Analog zur Zeitenwende in der Verteidigungspolitik brauchen wir eine solche auch beim Bevölkerungsschutz. Nicht umsonst hat das BMI im vergangenen Sommer einen Neustart im Bevölkerungsschutz verkündet, um angesichts der eben beispielhaft angeführten Herausforderungen die Schutzmaßnahmen neu auszurichten sowie Deutschland in seiner föderalen Struktur krisenfester und resilienter aufzustellen. Viele haben in diesem Kontext die Bilder der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und NordrheinWestfalen in Erinnerung. Wurden ausreichend Konsequenzen gezogen? Wolfgang Bosbach: Wann sind oder waren Konsequenzen jemals „ausreichend“? Wenn damit gemeint ist, dass wir fortan nie mehr von einer ähnlichen Katastrophe heimgesucht werden können, dann muss man ehrlicherweise sagen, dass die Politik eine solche Garantie nicht abgeben kann. Entscheidend ist, dass alle zuständigen Gremien die organisatorischen und politischen Konsequenzen ziehen, die gezogen werden können, um die jeweils betroffenen Regionen und Menschen vor verheerenden Folgen von Unwettern zu schützen. Das gilt unter anderem für die verschiedensten Bereiche wie Raum- und Bauplanung in potenziellen Flutlangjähriges Mitglied des Deutschen Bundestags, versierter Innenexperte Deutschlands und Mitglied des KÖTTER Sicherheitsbeirates Staatssekretär a.D., Mitglied des KÖTTER Sicherheitsbeirates Die Erstveröffentlichung des Beitrags erfolgte in der Ausgabe 12/2022 der Zeitschrift PROTECTOR. www.sicherheit.info Wir bedanken uns für die Abdruckgenehmigung. Wolfgang Bosbach Fritz Rudolf Körper

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