DER SICHERHEITSDIENST

64 DSD 4 | 2022 VERGABERECHT Verzögerungen imVergabeverfahren kein Fall höherer Gewalt VK Bund, Beschluss vom 20. Juli 2022, AZ: VK 2-60/22 Von Rechtsanwalt Alexander Nette Sachverhalt Ein den oberen Bundesbehörden zuzurechnender Auftraggeber, hat einen Vertrag geschlossen, der durch eine Angebotsanfrage bei nur einem einzigen Unternehmen zustande gekommen ist. Nach Abschluss des Vertrages ist die Bekanntmachung vergebener Aufträge im Supplement zum Amtsblatt der EU erfolgt. Hierauf rügte ein nicht zur Angebotsabgabe aufgeforderter Wettbewerber die Unzulässigkeit und damit die Unwirksamkeit des Vertragsschlusses. Zur Begründung führte er aus, dass keine Dringlichkeit vorliege, die ein Vergabeverfahren mit nur einem Bieter rechtfertigen würde bzw. könne. Auch bei einer Dringlichkeit sei jedenfalls ein offenes Verfahren mit verkürzten Fristen möglich gewesen und insbesondere sei jedenfalls sie als Wettbewerberin amVergabeverfahren zu beteiligen gewesen. In dem Vergabeverfahren mit nur einem Bieter ging es für den Auftraggeber darum, einen kurzfristigen Beschaffungsbedarf zu decken. Hierzu ist eine Interimsvergabe durchgeführt worden. Parallel dazu lief das Vergabeverfahren zum Abschluss eines länger laufenden Vertrags unvermindert weiter. Die Notwendigkeit der Interimsvergabe bestand, um einen vertragslosen Zeitraum zwischen Ende einer Rahmenvereinbarung und Abschluss eines neuen Vertrags zu überbrücken. Auf die Rüge des Wettbewerbers reagierte der Auftraggeber nicht, sodass dieser schließlich einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes (VK Bund) stellte. Entscheidungsgründe Die VK Bund stellt in ihrem Beschluss fest, dass der zur Überbrückung des Zwischenbedarfs geschlossene Vertrag gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam ist. Die VK stellt zunächst fest, dass sie sachlich zuständig ist, insbesondere auch, da der Schwellenwert für die Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahrens gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB erreicht wird. Dabei stellt die Vergabekammer nochmals klar, dass gemäß § 3 Abs. 8 VgV bei der Ausschreibung in mehreren Losen der Gesamtwert aller Lose für die Berechnung des Auftragswertes maßgeblich ist. Der Nachprüfungsantrag ist begründet, da die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb aufgrund äußerst dringlicher, zwingender Gründe nicht vorliegen. Die VK stellt klar, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb grundsätzlich sehr hoch sind. Die dringenden zwingenden Gründe, auf die § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV abstellt, beziehen sich darauf, dass ein akuter, unvorhersehbarer Bedarf entsteht. Als Ursache hierfür kommen akute Gefahrensituationen oder höhere Gewalt in Betracht. Ein solcher durch eine derartige Ausnahmesituation entstandener Beschaffungsbedarf lag jedoch nicht vor. Vielmehr handelte es sich um den normalen, regulären und kontinuierlich anfallenden Beschaffungsbedarf des Auftraggebers. Unabhängig davon ist, dass Waren beschafft werden sollten, die für die Aufgabenerfüllung unerlässlich sind. Der Grund, der zur Dringlichkeit der Beschaffung führte, war ein offenes Vergabeverfahren, das letztlich zu spät eingeleitet wurde, um den kontinuierlich fortbestehenden Beschaffungsbedarf auch nach Ende eines bestehenden Vertrages weiter decken zu können. Im Vergabeverfahren gab es Verzögerungen, die der Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren auch im Einzelnen dargelegt hat. Die VK stellt fest, dass Verzögerungen in einem Vergabeverfahren gerade keinen Fall einer akuten Gefahrensituation und auch keinen Fall der höheren Gewalt darstellen. Ein Ausnahmetatbestand, der die Anwendung des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV rechtfertigen könnte, liegt daher nicht vor. Der Grund, dass sich ggf. eine Lücke im Beschaffungsbedarf auftut, weil sich ein regulär eingeleitetes Vergabeverfahren verzögert, rechtfertigt mithin nicht, den zwischenzeitlich bestehenden Beschaffungsbedarf in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu decken. NETTE Rechtsanwälte, Recklinghausen, Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht sowie Lehrbeauftragter für Vergaberecht und Vertragsmanagement an der Westfälischen Hochschule. Er ist spezialisiert auf die Beratung von Bietern und öffentlichen Auftraggebern in Vergabe- und Nachprüfungsverfahren. Weitere Informationen erhalten Sie unter: www.vergaberecht.cc RA Alexander Nette, LL.M

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