DER SICHERHEITSDIENST

WIRTSCHAFT UND POLITIK 41 DSD 4 | 2022 nern, darunter das Unternehmen Accurate, ein Verfahren imForschungsprojekt Escape, mit dessen Hilfe sich auch große Menschenströme simulieren lassen. Das ist etwa für die Stadt Stuttgart wichtig, weil drei große Versammlungsstätten, die Cannstatter Wasen, die Mercedes-Benz Arena und die Hans-MartinSchleyer-Halle in unmittelbarer Nähe zueinander liegen. Finden dort parallel mehrere Großveranstaltungen statt, hat dies im Ernstfall Konsequenzen für die Räumung und Evakuierung der einzelnen Areale und die Umgebung. Eine solche Simulation beinhaltet in der Regel„Agenten“, die die Eigenschaften realer Personen abbilden, einschließlich Präferenzen für eine Routenwahl. „Das Besondere an unserer Simulation ist, dass wir die mikroskopische Ansicht einzelner Agentenmit einemmakroskopischen Modell, das den Fluss von Personen darstellt, kombiniert haben“, erläutert Dr. Angelika Kneidl, Geschäftsführerin von Accurate. Damit lassen sich auch komplexe Räumungen simulieren, die mehrere Veranstaltungen betreffen. Kritisch sind etwa auseinanderlaufende Personenströme oder sich vereinigende, da so neue Dynamiken entstehen können. Mithilfe der Simulation lassen sich Fluchtwege und Absperrungen effektiver planen und Schwachpunkte im Vorfeld erkennen, auch und gerade in größeren Gebieten. Verantwortliche erhalten so ein Gesamtlagebild, das ihnen hilft, die Räumung von parallel stattfindenden Großveranstaltungen zu planen. Sicherheitskonzepte auf Basis von Simulationen entwickeln Wichtig dabei ist, dass Simulationen dieser Art nicht den Effekt einer „Massenpanik“ berücksichtigen (können). Denn eine Massenpanik, wie sie in den Medien häufig zur Sprache kommt, ist wissenschaftlich gesehen in den allermeisten Fällen so nicht gegeben. Menschen fällen ihre Entscheidungen immer auf Basis der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen. Sie neigen etwa dazu, im Notfall den gleichen Weg, den sie gekommen sind, auch wieder als Fluchtweg zu nehmen. Ebenso müssen Menschen kontinuierlich mit Informationen versorgt werden, damit diese in der Lage sind, darauf basierend rationale Entscheidungen zu treffen. Aktive Informationen über die Situation, Bedrohung, die Lage von Notausgängen etwa können die Reaktionszeit maßgeblich verkürzen. Die Menschen lassen sich dann eher leiten und vermeiden hohe Dichten. Großveranstaltungen effektiv abzusichern, erfordert nach Corona keinen kompletten Neustart. Gleichzeitig haben sich auch während der Pandemie und nach Aufnahme des Regiebetriebs neue Entwicklungen ergeben. Etwa dass stellenweise Tickets nun personalisiert worden sind, um im Infektionsfall die Personen identifizieren zu können – ein Umstand, den viele Fans (und auch einige Datenschützer) bedenklich finden. Auch der mögliche Einsatz von Kameras mit KI-Unterstützung zur automatisierten Maskenerkennung wird vielerorts nicht nur von den Fans kritisch gesehen. Und das Thema Videoüberwachung in Stadien könnte durch ein Urteil des Landgerichts Köln (AZ: 157 Ns 8/20) neu bewertet werden. Das Gericht hatte in einem Fall entschieden, dass anlasslose polizeiliche Videoüberwachung von Fußballfans rechtswidrig und nicht durch § 15 PolG NRW gedeckt ist. Im Wesentlichen geht es in dem Urteil darum, dass die Polizei bei einem Fußballspiel mehrere Minuten lang eine grölende Fangruppe filmte und aufzeichnete, die aber letztlich keine Straftat begangen hatten. Die Aufnahmen waren als Beweis in einem anderen Verfahren damit für unzulässig erklärt worden. Inwieweit dieses Urteil Auswirkungen auf die Videoüberwachung in Stadien generell haben könnte, bleibt abzuwarten. Auch der Einsatz von immer leistungsfähigeren Kameras, die helfen sollen, automatisiert Gefahrenlagen oder Verhalten von Personen zu erkennen, werden Teil der Diskussion zwischen notwendiger Überwachung in Stadien und Datenschützern bleiben. Auszug § 10 der DFB-Richtlinien zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesligaspielen … 2. Dem Sanitäts- und Rettungsdienst, der Polizei, dem Ordnungsdienst und der Feuerwehr sind Räume für Befehlsstellen einzurichten. Sie müssen einen Überblick auf die Tribünen und – soweit baulich möglich – auf sicherheitsrelevante Bereiche ermöglichen. 3. Die Befehlsstellen der unter Absatz 2 genannten Sicherheitsträger sollen möglichst in zusammenhängenden Räumen (Sicherheitszentrale) untergebracht werden. Stadionsprecher und Einsatzleitung der Polizei sind grundsätzlich nebeneinander unterzubringen. … 5. Innerhalb der Platzanlage mit Blick auf den Umgriff, die Zuschauerwege und auf die Zuschauerplätze sowie in den Außenbereichen vor den Eingängen sind Videokameras mit Zoom-Einrichtungen zu installieren. Die Anlage muss von der Befehlsstelle der Polizei zu bedienen, an die Polizeimonitore angeschlossen sein und die Möglichkeit der Standbildaufnahme zur Identifikation von Personen bieten. Die Anlage sollte auch von der Befehlsstelle des Ordnungsdienstes aus bedient werden können. Die Befehlsstelle der Polizei (§ 10 Nr. 2.) ist mit einer Vorrangschaltung für die Videoüberwachungsanlage auszustatten. „Wenn Fans auf den Platz rennen, muss die Einsatzleitung sehr schnell feststellen können, ob dort Personen nur feiern wollen oder die Auseinandersetzung suchen.“ Uwe Stahlmann, Leiter der Landesinformationsstelle Sporteinsätze im Innenministerium Baden-Württemberg „Videoüberwachung hat einen festen Platz in der Sicherheitsarchitektur des DFB.“ Hendrick Lehmann, freier Mitarbeiter PROTECTOR

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