DER SICHERHEITSDIENST

BERICHT AUS BERLIN 50 DSD 2 | 2022 Zeitenwende – willkommen in der Wirklichkeit Von Rechtsanwalt Dr. Berthold Stoppelkamp Die neue Bundesregierung war noch keine 100 Tage im Amt, in den Fraktionen waren die Arbeitsgruppen und Berichterstatter für die Fachgebiete gerade erst festgelegt worden und die Bundestagsausschüsse hatten sich erst vor Kurzem konstituiert, als am 24. Februar 2022 Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine startete und große Teile des Landes besetzte. Durch dieses historische Ereignis ist die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur der Nachkriegszeit ins Wanken geraten und Krieg in Europa wieder zu einem Mittel der Politik geworden. Der gesamte Berichtszeitraum war damit medial, sicherheitspolitisch, energiepolitisch und auch wirtschaftlich durch die Folgewirkungen dieses Ereignisses geprägt. Zutreffend sprach Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 in einer Regierungserklärung von einer Zeitenwende in der Geschichte des europäischen Kontinents und für Deutschland. Der massive Flüchtlingszustrom stellt auch die Sicherheitswirtschaft vor große Herausforderungen. Ende der Wohlbehütetheit Die Ereignisse in der Ukraine haben in Regierung und großen Teilen der Politik zu einem Umdenken hinsichtlich der Sicherheitspolitik, zu Rüstungsexporten, zu Drohneneinsätzen und der atomaren Teilhabe geführt. Dies wird für jedermann bewusst, wenn man sich nochmals die Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien zur letzten Bundestagswahl vor Augen führt. So setzten sich die Grünen für ein Deutschland ohne Atomwaffen und für eine extrem restriktive Rüstungsexportpolitik ein. Sie sprachen sich auch gegen das „2-Prozent-Ziel“ der NATO aus. Auf europäischer Ebene lehnten sie eine Umwidmung ziviler EU-Gelder für militärische Zwecke ab. Auch die SPDwollte bisher eine restriktive Rüstungsexportpolitik verfolgen. Zudem sollten die in Deutschland stationierten Atomwaffen abgezogen und vernichtet werden. Die Entscheidung, ob deutsche Drohnen überhaupt bewaffnet werden sollten, sollte von einer umfassenden politischen und gesellschaftlichen Debatte abhängig gemacht werden. Die Mittel für die Bundeswehr wurden als ausreichend dargestellt. Nach den Vorstellungen der FDP sollten Atomwaffen zwar nicht aus Deutschland verschwinden, aber Deutschland sollte Impulsgeber für Abrüstungs- und Kontrollinstrumente werden. Neben einem eindeutigen Bekenntnis zur NATO sprach man sich indirekt auch für das „2-ProzentZiel“ aus. Die Linke will Rüstungsexporte aus Deutschland ganz verbieten, die nukleare Teilhabe in der NATO beenden und ist gegen Kampfdrohnen. Einzig die heutige Opposition aus CDU/ CSU hat bezogen auf ihr Wahlprogramm solche Aussagen getroffen, die den von der Bundesregierung im Nachgang zu dem am 24. Februar 2022 von Russland gegen die Ukraine begonnenen Angriffskrieg getroffenen sicherheitspolitischen Maßnahmen am nächsten kommen. So begreift die CDU/CSU Rüstungsexporte als gestaltendes Element der Sicherheitspolitik. Solange es Staaten mit Atomwaffen gebe, bedürfe es einer entschlossenen Fortsetzung der nuklearen Teilhabe Deutschlands und der Bereitstellung der notwendigen Mittel dafür. Die CDU/CSU sieht bewaffnete Drohnen als heute selbstverständlich an und will sie für die Bundeswehr beschaffen. Ebenso sollten die Fähigkeiten der Bundeswehr zur Drohnenabwehr, Luftverteidigung und zum elektronischen Kampf gestärkt werden. Die CDU/ CSU bekennt sich ausdrücklich zur Erhöhung des Verteidigungshaushaltes auf 2 Prozent des BIP. Als Allgemeingut dürfte nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine parteiübergreifend zwischenzeitlich die Überzeugung bestehen, dass Russland die Ukraine, sofern diese noch über eigene Atomwaffen zur Abschreckung verfügte, nicht angegriffen hätte. Vor diesem Hintergrund mutet die noch 2020 vom SPD-Fraktionschef Ralf Mützenich erhobene Forderung, die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland zu beenden, unter Berücksichtigung der aktuellen Sicherheitslage als sicherheitspolitisches Abenteurertum an. Ebenso ist zu prognostizieren, dass schon bald US-Atomwaffen in Polen stationiert Geschäftsführer des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft (BDSW) in Berlin RA Dr. Berthold Stoppelkamp

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