DER SICHERHEITSDIENST

67 4 | 2021 DER SICHERHEITSDIENST RECHT Tragen von Kopftüchern am Arbeitsplatz kann verboten werden Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 15. Juli 2021, AZ: C-804/18 und C-341/19 Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass das Verbot des Tragens jeder sichtbaren Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen durch das Bedürfnis des Arbeitgebers gerechtfertigt sein kann, gegenüber den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln oder soziale Konflikte zu vermeiden. I. Sachverhalt Zwei Arbeitnehmerinnen waren als Heilerziehungspflegerinbzw. alsVerkaufsberaterin und Kassiererin beschäftigt. Sie trugen an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch. 1. Der Arbeitgeber forderte die Arbeitnehmerin auf, das Kopftuch aus firmenpolitischen Gründen abzulegen. Auf ihre Weigerung stellte der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin zweimal von der Arbeit frei, wobei er sie abmahnte. Die Arbeitnehmerin erhob daraufhin Klage beim Arbeitsgericht Hamburg, die Abmahnungen aus ihrer Personalakte zu entfernen. 2. Die Arbeitgeberin wies der Arbeitnehmerin, die ihr Kopftuch an ihrem Arbeitsplatz zunächst abgelegt hatte, eine andere Stelle zu, die es ihr erlaubte, ein Kopftuch zu tragen. Sodann erteilte ihr die Arbeitgeberin die Weisung, ohne auffällige großflächige Zeichen religiöser, politischer oder weltanschaulicher Überzeugungen an ihremArbeitsplatz zu erscheinen. Die Arbeitnehmerin beantragte festzustellen, dass die Weisung unwirksam war, sowie Ersatz des erlittenen Schadens. Die Klage durchlief den Instanzenzug und erreichte das Bundesarbeitsgericht. Der EuGH sollte die Frage klären, ob eine interne Unternehmensregel, die den Arbeitnehmern das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugung am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellt und unter welchen Voraussetzungen eine etwaige mittelbare Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein kann. II. Entscheidungsgründe Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in den verbundenen Rechtssachen „WABE“ und „MH Müller Handel“ entschieden, dass das Verbot des Tragens einer sichtbaren Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstelle. Eine unmittelbare Diskriminierung liege nicht vor, da die unternehmensinterne Regel selbst keine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern einführe. Sie gelte unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen und behandle alle Arbeitnehmer gleich, indem ihnen allgemein und undifferenziert vorgeschrieben werde, sich neutral zu kleiden. Die mittelbare Diskriminierung könne durch das Bedürfnis des Arbeitgebers gerechtfertigt sein, gegenüber Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln oder soziale Konflikte zu vermeiden. Die Rechtfertigung müsse einem sog. „wirklichen Bedürfnis“ des Arbeitgebers entsprechen. Der Arbeitgeber habe nachzuweisen, dass ohne eine solche Politik die Neutralität seiner unternehmerischen Freiheit beeinträchtigt würde. Eine solche Neutralitätspolitik könne nur dann wirksam verfolgt werden, wenn überhaupt keine sichtbaren Bekundungen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen erlaubt seien. Für die Beurteilung, ob ein sog. „wirkliches Bedürfnis“ besteht, könnten die nationalen Gerichte dem Kontext ihres jeweiligen Mitgliedstaats, insbesondere den in Bezug auf den Schutz der Religionsfreiheit günstigeren nationalen Vorschriften, Rechnung tragen. III. Praxishinweis Der Gerichtshof verlangt den Nachweis, dass es infolge sichtbarer religiöser Zeichen zu konkreten betrieblichen Störungen oder wirtschaftlichen Einbußen kommen kann. Der Arbeitgeber hat darzulegen, dass es angesichts der Art der Tätigkeit oder des Umfelds, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, ohne eine solche Regelung nachteilige Konsequenzen für ihn haben kann. Maßgeblich ist, dass das Unternehmen eine konsequente Neutralitätspolitik betreibt. Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. September 2021, AZ: 5 AZR 149/21 Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst. Die Klägerin war bei der Beklagten seit Ende August 2018 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 8. Februar 2019 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 22. Februar 2019 und legte der Beklagten eine auf den 8. Februar 2019 datierte, als Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Die Klägerin hat demgegenüber geltend gemacht, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-out gestanden. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 gerichteten Zahlungsklage stattgegeben.

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